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Gehoere ich halt nicht dazu

Gehoere ich halt nicht dazu

Titel: Gehoere ich halt nicht dazu
Autoren: Johannes Angerer , Miriam Koch
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der Vo r bereitung. Der bekannteste Selbstmord am Prekestolen war übrigens ein gemeinsamer Freitod zweier Jugendlicher. Das könnte ich ohnehin nicht überbieten. Wie u n interessant wäre dagegen mein Tod am selben Ort. Die Idee geklaut und noch dazu ganz allein? In einem Land, zu dem ich überhaupt keinen Bezug habe. Ja wirklich. Zu Norwegen gibt’s da echt nichts. Die Schweden haben wenigstens H&M, Ikea, Schw e denbomben, Ingemar Stenmark, Björn Borg, ABBA, Ronnie Peterson, Königin Sylvia. Aber Norwegen? Nichts. Und mein Freitod in Norwegen wäre ohnehin keine aufregende Schlagzeile wert. Und er wäre auch kein Anreiz für mich selbst. Also sind die Tabletten schon ok.
    Ich denke noch einmal an die prinzipielle Möglichkeit, heute gar nicht zu sterben. Und auch morgen nicht. Ich könnte stattdessen irgendwann mal (es muss ja nicht gleich auf der Stelle sein) eines simplen, natürlichen T o des sterben. So wie die meisten anderen Lebewesen auch. Ein solcher natürlicher Tod muss nicht zwangsweise einfältig und uninteressant sein. Eine seltene Krankheit oder ein beso n ders schlimmes Leiden: Das könnte mir etwa ein klein wenig Aufmerksamkeit meiner Umwelt b e scheren.
    Ich stelle mir jetzt eine Sterbeszene am Krankenhausbett vor. Ich bin der Sterbende. Der Hauptdarsteller. Der Star der Sz e ne. Da ist hektische Betriebsamkeit rund um mich, um mein Leben zu retten. Maschinen blinken und piepsen aufgeregt, gebildete und intelligente Menschen versuchen konze n triert und angestrengt alles, um mit allen verfügbaren Möglichkeiten der Medizin mein Leben zu re t ten. Da fällt mir die Ärztin Angelika ein. Okay. Ich konzentriere mich jetzt eher auf die Menschen an meinem Bett, die meine Freunde sind, und die verzwe i felt sind, weil sie augenscheinlich nichts für mich tun können. Sie kämpfen mit ihren Tränen, wollen mich jedoch keinesfalls ängstigen und versuchen daher zuve r sichtlich zu wirken. Und dann , als sie merken, es ist so weit, umklammern sie mich mit ihren starken Händen, schreien und weinen d a bei. Sie wollen mich nicht gehen lassen. Sie wollen mich fes t halten, damit der Tod mich ihnen nicht entreißen kann. Ein starkes Bild. Ich beginne mich so richtig wohl zu fühlen. Aber dann überlege ich, wer denn meine Freunde am Krankenbett wären. Jolanda habe ich erkannt. Meinen Vater habe ich g e sucht , aber nicht gefunden. Meine Mutter weiß nicht was los ist, spürt aber was. Alle anderen scheinen bezahlte Schauspieler zu sein. Billige Komparsen. Studenten. A r beitslose. Die Szene verliert jetzt wieder deutlich an Kraft.
    Meine Gedanken kehren folglich zum Freitod zurück. Er passt einfach insgesamt besser zu mir, finde ich. Auch und ganz besonders der Tablettenschluckselbstmord passt doch sehr gut zu mir. Denn ich bin schließlich genauso einfältig, einfall s los, gewöhnlich und fade, wie diese Form des Selbstmordes. Außerdem ziehe ich z u mindest keine anderen Leute mit rein. Die Badewanne stört mich noch. Ich finde, alle Filme mit S elbstmord in der Badewanne sind schlechte Filme. Zumindest alle, die ich ges e hen habe.
    Mittlerweile ist schon einige Zeit vergangen , und die Bad e wanne ist voll mit Wasser. Auch das ist typisch für mich. Ich denke statt zu handeln. Andere denken und handeln dann. Perfekt. Wieder a n dere handeln ohne zu denken. Auch hier wird irgendwas bewegt. Aber ich denke und handle nicht. Und das Ergebnis ist Stillstand. Ist Einsamkeit. Ist Frustration. Ist Depression. Ist aber auch gleichzeitig Durchschnittlichkeit. Und darunter le i de ich seit jeher am meisten.
    Aber ich werde nicht mehr lange leiden. Denn jetzt bin ich mir endlich ganz sicher. Der Selbstmord soll meine nächste und letzte Handlung sein. Er ist richtig und gut. Ich beginne mich wohl zu fühlen.

Es läutet an der Tür.
    Es hat schon lange nicht mehr an meiner Tür geläutet.
    Ich mache nicht auf.
    Ich prüfe die Temperatur der Badewanne.
    Ist ganz angenehm.
    Für einen Moment denke ich, dass meine alte Freundin, die Ägäis , mehr Klasse gehabt hätte als das Badewasser.
    Ich sehe mich im Spiegel an. Ich schau so aus, wie ich nie au s sehen wollte. Ich schenke mir ein Glas Wein ein. Für meinen Tabletten-Cocktail. Mein letztes Abendmahl. Eingenommen zu Mittag. Wein und Cocktail gemischt. Geschmacklos und letztklassig wie mein Leben. Wie ich. Der Wein: Montepulciano d´Abruzzo. Von Frigo. 3 Euro 90 Cent. Nicht mal einen sp e ziellen Wein war ich mir wert.
    Das war es dann wohl, denke
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