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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer
Autoren: Kevin Dutton
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Neueste Untersuchungen an Flusskrebsen weisen darauf hin, dass die Unterwerfungsstrategie
     der Dominanzstrategie sogar überlegen ist. Wenn männliche Flusskrebse um Weibchen kämpfen, zeigen sie, wer der Boss ist, indem
     sie den Gegner auf den Rücken werfen und dann die Begattungsposition einnehmen. Die unterlegenen Tiere haben zwei Möglichkeiten.
     Entweder sie wehren sich. Oder sie lassen es sein. Fadi Issa und Donald Edwards von der Georgia State University haben festgestellt
     – sehr zum Vergnügen des eher metrosexuellen Anteils der Flusskrebspopulation   –, dass passives Ertragen sich lohnt. 24   Stunden später war die Hälfte derer, die Widerstand geleistet hatten, tot. Alle, die das nicht getan hatten, lebten noch.
     Die Dinge einfach liegend oder, wie im Fall von Marco, sitzend zu ertragen, scheint auch seine Vorteile zu haben.
    Sich bücken, um zu gewinnen
    Wie wir gesehen haben, macht unser Wissen über Schlüsselreize, ihre Wirkung und ihren gewaltigen Einfluss es möglich, sie
     zu unseren Gunsten zu nutzen. Die gewaltigsten Bauwerke können in sich zusammenfallen, wenn eine kleine Sprengladung richtig
     platziert ist. Scheinbar unlösbare Konflikte können entschärft werden durch ein paar einfache Worte oder Gesten. Wie die Geschichte
     lehrt, wussten das alle großen Verführer. Im Johannesevangelium versuchen die Pharisäer Jesus in die Enge zu treiben, indem
     sie ihn einer Ehebrecherin gegenüberstellen und ihn um Rat fragen: »Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat
     ertappt. Moses hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?« (Kap. 1, Vers 4   f.)
    Die Pharisäer sind nicht wirklich an Jesus’ moralischer Beurteilung dieses Falls interessiert, und Jesus weiß das. In Wirklichkeitsind ihre Motive erheblich niedriger. Sie wollen ihm eine Falle stellen. Sie wollen ihn mit dem Gesetz in Konflikt bringen.
     Dem mosaischen Gesetz zufolge müsste die Frau tatsächlich gesteinigt werden. Doch Palästina war von den Römern besetzt, und
     statt des mosaischen galt das römische Gesetz. Hätte Jesus das mosaische Gesetz darübergestellt, hätte man ihn dafür als Aufwiegler
     anklagen können. Doch das war nicht sein einziges Problem. Denn wenn er von der Steinigung abriete, würde man ihm vorwerfen,
     die uralten Traditionen seiner Vorfahren zu missachten. Es stand also nicht gut für Jesus.
    Inzwischen hatten sich eine Menge Leute versammelt, die Situation spitzte sich zu. Wie es aussah, gab es kaum einen Ausweg.
     Selbst dem gerissensten Volksredner wäre das schwergefallen, wie also sollte ein wandernder Zimmermann ohne rhetorische Schulung
     die Situation retten? Das Johannesevangelium erzählt, wie es weiterging: »Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger
     auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: ›Wer von euch ohne Sünde ist, werfe
     als Erster einen Stein auf sie.‹ Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Antwort gehört hatten,
     ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.«
     (Verse 6   –   9)
    Jesus aber bückte sich
– eine großartige Stelle. Und die einzige im Neuen Testament, in der Jesus etwas schreibt. Bibelexegeten haben allerhand Spekulationen
     darüber angestellt, was er wohl geschrieben haben könnte: vielleicht die Sünden der Fragenden? Ihre Namen? Wir werden das
     nie erfahren. Aus psychologischer Perspektive jedoch ist die Frage, warum Jesus in diesem spannungsgeladenen Augenblick überhaupt
     das Bedürfnis verspürte, etwas zu schreiben, ein noch größeres Rätsel.
    Das Schreiben als solches erscheint ganz sinnlos in dem Moment.
    Es sei denn, er hatte noch etwas in der Hinterhand. Vielleicht war das Schreiben nur ein Vorwand. Vielleicht liegt die Bedeutung
     seines Handelns gar nicht darin, sondern in der Haltung, die er dafür einnehmen musste.
    Betrachten wir seine Körpersprache während dieses Zusammentreffens mit den Pharisäern genauer. Der Wortwechsel hat drei Phasen.
     Wie reagierte Jesus auf die erste Konfrontation? Der Text sagt: »Jesus aber bückte sich.« (Das Prinzip des Gegensatzes; Inkongruenz;
     eine Unterwerfungsgeste.) Die Pharisäer insistieren, also: Jesus »richtete sich auf« und formulierte seine berühmte Erwiderung
     (Selbstvertrauen; Angriff). »Und er bückte sich wieder«, nimmt also erneut eine
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