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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer
Autoren: Kevin Dutton
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den psychologischen Überfliegern. Heißt das auch, daran lässt sich nichts ändern? Im nächsten Kapitel werden wir
     feststellen, dass wir eigentlich alle Superstars im Überzeugen sind. Zumindest als Babys. Doch je älter wir werden, desto
     mehr schwindet dieser Glanz.

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    Unwiderstehlich, die Kleinen
    Eines Nachts hörte eine Frau in Houston draußen vor der Haustüre ein Baby schreien. Das kam ihr unheimlich vor, und sie rief
     die Polizei an. Der Beamte riet ihr, auf keinen Fall die Tür zu öffnen und nach draußen zu gehen. Die Frau sagte, sie sehe
     durchs Fenster das Baby herumkrabbeln. Sie mache sich größte Sorgen, dass es auf der Straße überfahren wird. Der Polizist
     antwortete: »Eine Streife ist schon unterwegs. Was auch immer Sie tun, auf gar keinen Fall die Tür aufmachen.« Es stellte
     sich heraus, dass anscheinend ein Serienmörder unterwegs war, der Frauen mit Babygeschrei aus dem Haus lockte.
     
    »Das hilflose Weinen eines Babys ist nichts Schwaches, Wirkungsloses oder Archaisches. Es ist die tiefste und mächtigste Kraft
     der Natur. Sobald ein Vater und eine Mutter das zum ersten Mal hören, werden sie Eltern   … Das Weinen eines Kindes geht nicht ins Leere, sondern führt in die Tiefen von Liebe und Mitgefühl«, schrieb schon 1957 der
     Soziologe Jonathan Hanaghan.
    Ein Überzeugungswunder
    Ich sitze in einem Café in London und warte auf einen Mann, den man zwei Jahre zuvor nicht einmal mit Gewalt an einen solchen
     Ort gebracht hätte. Es gab vermutlich noch viele andere Orte, auf die das zutraf, aber auf diesen hier mit all seinen Espressotässchen,
     gut gekleideten Mittelschichtsdamen und Werbeflyern für Aromatherapien ganz besonders.
    Doch dann kommt er. Er ist hochgewachsen, über einsfünfundachtzig groß, Ende zwanzig und gebräunt. Nicht das Braun, das man
     sich in Griechenland holen kann, sondern die Bräune, die Abhängige kriegen, wenn sie lange auf Drogen waren. Er heißt Daryl.
    Er kommt an meinen Tisch. Das Erste, was mir an ihm auffällt, ist sein Zittern. Irgendwo in seinem Gehirn haben wohl einige
     Synapsen aufgegeben. Und ich sehe eine Narbe, billige Tattoos und eine große Sporttasche, die gegen mein Bein stößt. Was er
     da wohl drinnen hat, denke ich.
    Vor einigen Jahren gehörte Daryl zu einer Bande von Kleinkriminellen, die in dieser Gegend unterwegs waren. Damals stand er
     meistens unter Drogen, was er irgendwie finanzieren musste. Durch Einbruch, Raub, das Fälschen von Papieren.
    Dann kam der Tag, an dem sich alles änderte.
    Es war an einem Samstagnachmittag. Er trieb sich auf einem Parkplatz herum und sah, wie eine Frau ihre Einkäufe ins Auto lud.
     Sofort stand er hinter ihr, ein Messer in der Hand. Als sich die Frau umdreht, erlebt Daryl eine Überraschung. In ihrem Arm
     hält sie, gegen ihren Körper gepresst, einen Säugling. Er erstarrt. Alle erstarren. Das Baby sieht ihn an. Dann beginnt die
     Frau zu schreien, Daryl lässt sein Messer fallen und rennt weg. Anschließend meldet er sich in einer Entzugsklinik. »Ich weiß
     nicht, was da los war, aber irgendwas Gottverdammtes muss es gewesen sein. Das Kind war ein regelrechter Schock. Wie es mich
     ansah. Es war, shit, ich kann’s einfach nicht erklären. Ich wollte nie jemanden verletzen, wollte immer nur das Geld, weißt
     du, für Stoff und so. Irgendwann war ich auch so ein Kid, dachte ich mir.Wie konnte es so weit kommen? Was ist nur aus dem Kind geworden, das ich mal war?«
    Mission Impossible
    Neugeborene und Säuglinge sind Beeinflussungsmaschinen, anders kann man das nicht nennen. Ihre Fähigkeit, anderen ihren Willen
     aufzuzwingen, uns um ihre kleinen Finger zu wickeln, ist konkurrenzlos. Ein Baby ist ein Künstler im Einsatz der Techniken
     sozialer Beeinflussung.
    Die Reaktion auf Neugeborene ist überall dieselbe, man findet sie quer durch alle Kulturen, alle Altersstufen, sie ist unabhängig
     vom Geschlecht. Studien haben gezeigt, dass schon Kinder, die gerade mal vier Monate alt sind, Bilder mit Kindergesichtern
     länger betrachten als solche mit Jugendlichen oder Erwachsenen. Ab einem Alter von achtzehn Monaten wird diese Vorliebe nicht
     nur von einem Lächeln, sondern auch von Gebärden und Lautäußerungen begleitet. Und das ist nicht nur bei Menschen so. Auch
     zwei Monate alte Rhesusaffen, die isoliert aufwuchsen, zeigen diese Vorliebe für Bilder von Affenkindern. Diese Vorliebe ist
     fest im Gehirn verankert.
    Der Neurowissenschaftler Morten Kringelbach
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