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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer
Autoren: Kevin Dutton
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Beschwichtigungshaltung ein. Eine wohlüberlegte
     Bewegung, um die Situation zu entschärfen.
    Die Worte, die Jesus sprach – »der werfe den ersten Stein«   –, sind für die Ewigkeit, und ich bin mir sicher, dass er das auch wusste. Eines der schönsten Beispiele für Gehirnflüstern,
     das es überhaupt gibt. Aber er hatte immer noch ein Problem. So großartig die Formulierung auch war, sie blieb eine Provokation
     für die Pharisäer und konnte sie nachhaltig reizen. Auch das hat Jesus zweifellos gewusst.
    Daraus erklärt sich, warum Jesus in dieser Situation, allen theologischen Lesarten zum Trotz, nicht in einer, sondern in zwei
     Sprachen gesprochen hat – in einer zeitgenössischen, hörbaren und nachvollziehbaren Sprache und in einer uralten, tonlosen
     und hintergründigen.
    Feuer und Rettung
    Marco Mancini und Jesus Christus haben wenig gemeinsam, auch wenn Marco, als ich ihn kennenlernte, ein wenig wie Jesus aussah.
     Marco hat die Geheimnisse des Gehirnflüsterns auf dem Schulhof gelernt. Und Jesus? Wir wissen es nicht. Worauf es mir ankommt:
     Man braucht keine übernatürlichen Kräfte, um zu überzeugen. Die angeborene Fähigkeit dazu haben wir. Aber anders als unsere
     Brüder und Schwestern im Tierreich beherrschen wir diese Kunst nicht mehr automatisch.
    Eine solche Beeinflussung ist nicht auf kritische Situationen beschränkt. Wir können damit vielleicht ab und an einen Strafzettel
     oder einen Faustschlag vermeiden. Aber die Fähigkeit dazukann uns auch auf andere Weise hilfreich sein. Sie bedeutet, dass wir vieles sagen können, ohne es auszusprechen. Das ist
     ein großer Vorteil, egal in welcher Situation. Zum Beispiel im Geschäftsleben. Besonders gute Verkäufer lehnen sich oft nach
     vorne, wenn sie mit ihren Kunden sprechen. Ein Doppelschlag, der durch verstärkte Nähe nicht nur Empathie, sondern auch Unterwürfigkeit
     ausdrückt. Wenn Sie das nächste Mal gezwungen sind, einem widerspenstigen Sechsjährigen zu erklären, wie die Dinge laufen,
     bauen Sie nicht
sich
auf, sondern
ihn
. Heben Sie ihn zu sich hoch oder bücken Sie sich zu ihm hinunter und sagen Sie ihm so ruhig wie möglich (ich weiß, wie schwer
     das ist), was Sie zu sagen haben. Allein dadurch, dass man sich auf die Stufe eines anderen begibt, spricht man Bände. Erinnern
     Sie sich an Churchill und den diebischen Gast. Was man in solchen Situationen ausdrückt – ohne es wirklich zu sagen   –, ist in etwa: »Schau mal, nicht nur du sitzt in der Tinte, sondern wir beide. Also lass uns zusammenarbeiten, als Team.
     Einverstanden?«
    Noch einmal Winston: Im Sommer 1941 erhielt Sergeant James Allen Ward das Victoria-Kreuz, weil er in 13   000   Fuß Höhe über der Zuiderzee auf den Flügel seines Bombers geklettert war, um ein Feuer im Triebwerk zu löschen. Bei diesem
     Abenteuer war er nur durch ein Seil um die Taille gesichert. Winston Churchill lud den Neuseeländer nach Downing Street Nr.   10 ein, um ihm zu gratulieren. Sie kamen nicht recht ins Gespräch. Dieser todesmutige und verwegene Flieger war in der Gegenwart
     des großen Mannes so befangen, dass er nicht mal die simpelsten Fragen beantworten konnte. Da versuchte es Churchill auf einem
     anderen Weg. »Sie müssen sich in meiner Gegenwart sehr unterlegen und ungeschickt fühlen«, sagte er. »Ja, Sir, das stimmt«,
     antwortete Ward. »Dann können Sie sich ja vorstellen, wie unterlegen und ungeschickt ich mich in Ihrer Gegenwart fühle«, sagte
     Churchill. Das Eis war gebrochen.
    Zusammenfassung
    In diesem Kapitel haben wir einen Blick auf die Ursprünge von Beeinflussung geworfen. Wie sie ohne Sprache funktioniert hat
     und es im Tierreich immer noch tut. Und sind zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen. Seit es Sprache gibt und sich die Großhirnrinde
     weiterentwickelt hat, hat sich die Fähigkeit der Beeinflussung nicht etwa weiterentwickelt, sondern abgenommen. Tiere können
     das besser und schneller als wir.
    Das Geheimnis dahinter ist die Sparsamkeit der eingesetzten Mittel. Basiselement ist der Schlüsselreiz, der ein angeborenes,
     instinktives Verhaltensmuster auslöst. Das ist der Königsweg, um eine Situation schnell zu klären. Mit einem Minimum an kognitivem
     Aufwand. Bei Menschen ist das anders. Zwischen uns und unseren Instinkten klemmt die Ozonschicht des Bewusstseins, in der
     unser bevorzugtes Überzeugungselement, die Sprache, meist verglüht. Und das scheint jedem so zu ergehen, außer den ganz besonders
     Begabten,
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