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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer
Autoren: Kevin Dutton
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hellem »Rand« und
     dunkler »Iris« wie Eulenaugen aussehen und, plötzlich gezeigt, Feinde abschrecken. 5
    Die Augenflecken des Eulenfalters
     
    Weniger freundliche Methoden der Ablenkung lassen sich in der Welt der Spinnentiere beobachten. Die Goldene Seidenspinne (
Nephila clavipes
) – von den USA bis nach Argentinien verbreitet – hat ihren Namen von den auffälligen goldenen Netzen, die sie an lichtdurchfluteten
     Stellen, Waldrändern und Lichtungen etwa, spinnt. Auf den ersten Blick keine besonders gute Idee für ein Tier wie eine Spinne,
     das für sein Mittagessen eigentlich aufunsichtbare Fallen angewiesen ist. Doch hat dieser Wahnsinn Methode. Untersuchungen haben gezeigt, dass Bienen (Beutetiere
     der Seidenspinnen), anders, als man zunächst annehmen würde, solche Netze leichter vermeiden, wenn das Licht nicht gut ist,
     wenn die Spinnennetze schlechter zu erkennen sind und auch die gelbe Färbung undeutlich wird. Warum? Nun, die Biene sucht
     nach Nektar produzierenden Blüten, und welche Blütenfarbe ist am häufigsten?
    Man hat Experimente unternommen, bei denen sich die Farbe von Spinnennetzen ändert. Dabei hat sich herausgestellt, dass Bienen
     durchaus in der Lage sind, andere Farbtöne – rote, blaue und grüne – mit Gefahren zu verbinden und diese zu meiden. Von gelben
     Tönen dagegen lassen sie sich immer wieder verlocken.
    Solchen zoologischen Schwindel gibt es auch in der Insektenwelt. Das Prinzip der »Honig-Falle« ist aus diversen Agentenfilmen
     bestens bekannt. Aber Hollywood hat es nicht erfunden. Die Idee ist viel älter. Möglicherweise stammt sie von den Glühwürmchen.
     Studien haben gezeigt, dass die Weibchen der Gattung
Photuris
genau die gleichen Lichtsignale aussenden, mit denen die Weibchen der Gattung
Photinus
ihre Paarungsbereitschaft melden. Wenn nun Photinus-Männchen den Signalen dieser Femmes fatales der Leuchtkäferwelt folgen,
     erwartet sie alles andere als ein Liebesabenteuer – sie werden gefressen. So eine Verabredung hatte ich auch mal.
    Alles Werbung
    Wir haben gesehen, mit welchen Methoden Tiere und Pflanzen andere »beeinflussen«, sozusagen Überzeugungsarbeit leisten. Das
     geschieht ohne Sprache. Dennoch kann man hier zweifellos von Beeinflussung sprechen, der gleichen Art der Beeinflussung, die
     wir auch bei Menschen beobachten können. Allerdings schneller, weniger chaotisch, konzentrierter. Die Goldene Seidenspinne
     muss, um an ihr Ziel zu kommen, weder Kunst nochInnenarchitektur studieren. Und doch ist das Spinnennetz gelb – aus einem einzigen Grund. Es soll die Bienen dazu bringen,
     etwas ganz Dummes zu tun, woran sie normalerweise nicht im Traum denken würden: bei diesem Netz vorbeizuschauen.
    Das Gleiche gilt für den Triebwelke-Pilz. Dieser skrupellose Pilz mit seiner zweifelhaften botanischen Moral weiß genau, dass
     Bienen und andere bestäubende Insekten ihn normalerweise großräumig umfliegen würden. Was also tut er? Was jedes andere räuberische,
     auf seinen Vorteil bedachte Wesen auch tun würde: Er versichert sich der Mitwirkung eines unschuldigen Dritten und nutzt ihn
     skrupellos aus. Nur weil keine Worte eingesetzt werden, heißt das noch lange nicht, dass es keine Beeinflussung gibt. Das
     habe ich rasch gemerkt, als ich geheiratet hatte. Wie heißt es so schön: Ein Blick spricht Bände.
    Die Grenzlinie zwischen tierischer und menschlicher Beeinflussung verwischt sich noch mehr, wenn wir überlegen, wie viele
     Elemente des menschlichen Verhaltens instinktiv und ohne Sprache wirken – wie bei den Tieren auch. Das Geheimnis guter Werbung
     besteht nicht darin, dass sie unsere rationalen, kognitiven Fähigkeiten anspricht, sondern dass sie sich direkt an die die
     Gefühle verarbeitenden Areale unseres Gehirns wendet. An uralte Strukturen und Mechanismen, die wir nicht nur mit den Tieren
     teilen, sondern de facto von ihnen geerbt haben.
    In dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, gab es einmal große Aufregung, weil sich an einer Kreuzung, die zwar belebt, aber
     eigentlich ungefährlich war, eine steigende Anzahl von Unfällen ereignete. Alle waren alarmiert. Etwa eine Woche später füllte
     eine Story die Titelseite der Lokalzeitung. Auf dem Bild dazu sah man, wie ein paar verlegene Jungs von der zuständigen Polizeiwache
     eine riesige Reklametafel wegschafften, auf der eine vollbusige, spärlich bekleidete Blondine prangte. Sex sells, das galt
     immer schon. Allein das Wort »Sex« steigert die Auflagen. Die
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