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Geheimnisse des Himmels

Geheimnisse des Himmels

Titel: Geheimnisse des Himmels
Autoren: T Voosen
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müssen?
     
    Kaithlyn betrachtete Fyes schlafendes Gesicht. Sie hatte in letzter Zeit so oft seine Züge gemustert, dass ihr sein Gesicht genauso vertraut war wie ihr eigenes. Er sah so schrecklich leblos aus. Leblos, aber schön. Wie eine Statue. Kaithlyn dachte an das Märchen der schlafenden Prinzessin. Relia hatte ihr dieses Buch zu ihrem siebten Geburtstag geschenkt. In der Geschichte ging es um eine Prinzessin, der es an nichts fehlte. Sie hatte alles: Schönheit, Reichtum, ein Volk, das sie bewunderte, alles außer Liebe in ihrem Leben. Ihr Ziel war es nicht von allen gemocht und begehrt zu werden, sondern geliebt, doch weil die Welt sie enttäuschte, weil jeder Erwartungen an sie stellte, die sie nicht erfüllen wollte, legte sie einen mächtigen Zauber über ihr Haupt. Ein Zauber, der ihre Magie vergiftete und sie in einen tiefen Schlaf sinken ließ. Fortan lebte sie in ihrer eigenen Welt, aus der es kein zurück mehr für sie gab. Fye hatte auch entschieden, in seiner eigenen Welt leben zu wollen. Plötzlich spürte sie wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Ein lautes Räuspern ließ sie zusammen schrecken. Liam saß auf einem Stuhl in der linken Ecke des Raumes, Arme und Beine verschränkt und zog die Brauen hoch als versuche er Kaithlyn mit seinem Blick zu verspotten.
    „Wieso kommst du jeden Tag?“, fragte er.
    Liam sah Fye so schrecklich ähnlich, aber im Gegensatz zu Fye, war seine ganze Art und sein Gesichtsausdruck angriffslustig und frech. Liam stand auf und ging auf Kaithlyn zu. Auch seine Augen wanderten über Fyes Gesicht.
    „Ich komme her, weil ich mir Sorgen mache“, antwortete Kaithlyn unbeeindruckt von seinem Versuch sie einzuschüchtern. Ob Fye als kleiner Junge genauso stur gewesen war?
    „Sorgen?“, wiederholte Liam und fixierte sie.
    „So wie diese Melora? Fye hat also zwei Eisen im Feuer.“
    Kaithlyn verkniff sich ein Lachen. „Das nennt man auch Freundschaft“, sagte sie. „Hast du keine Freunde, die sich Sorgen um dich machen, wenn es dir schlecht geht? Und du sitzt auch jeden Tag hier, oder?“
    „Ich bin sein Bruder. Ich beschütze ihn“, verkündete Liam laut.
    „Das ist auch gut so.“
    „Das musst du mir nicht sagen!“
    Kaithlyn straffte die Schultern. Liam sah sie ein wenig ängstlich an.
    „Okay“, sagte sie sanft. „Ich verstehe das schon.“
    „Pah! Was willst du schon verstehen? Du kommst jeden Tag hier her und gehst, wann du wieder willst! Fye braucht kein Mitleid! Meine Familie braucht kein Mitleid!“
    Liam klang unglaublich wütend.
    „Das mag sein, aber ich komme nicht her, um irgendjemanden mein Mitleid zu bekunden. Das weißt du. Du bist klug. Deine Wut richtet sich gegen etwas anderes, Liam.“
    Liams Augen verrieten ihn. Kaithlyn glaubte zu wissen, wo das Problem lag.
    „Vielleicht möchtest du darüber sprechen?“
    „Nein“, sagte Liam gedämpft. Eine Weile blieb es still.
    „Ich hab mich gefragt, wo Crowden ist“, sagte Kaithlyn.
    „Da draußen sitzt er“, sagte Liam leise. Crowden saß vor dem Fenster in der Krone des Apfelbaumes. Er hatte den Kopf dicht an sein Gefieder geschmiegt. Es sah aus als schliefe er.
    „Es tut mir leid. Ich hätte nicht so mit dir sprechen dürfen. Du…du hast mir das Leben gerettet“, sagte Liam kleinlaut. Er lief leicht rosa an und starrte gedrungen zu Boden.
    „Ist schon okay“, sagte sie lächelnd. Irgendwann werden wir uns besser verstehen .
     
    Am nächsten Tag regnete es heftig. Es war so, als würde der Himmel bittere Tränen weinen. Vor dem Anwesen standen unzählige Kutschen, hintereinander gereiht wie der schwarze Zug des Todes. Obwohl es noch früh am Morgen war, waren alle auf den Beinen. Menschen strömten die große Treppe vor der Eingangstür herunter, stiegen wahllos in die Kutschen ein. Die Zugpferde schnaubten angespannt, ihr Atem bildete weiße Wölkchen. Einige der vorderen Kutschen setzten sich in Bewegung, verließen das Anwesen und fuhren alle in dieselbe Richtung davon. Es war ungewöhnlich kalt, dafür, dass der Juni gerade erst zu Ende ging. Über Nacht hatte sich sogar eine dünne Schicht Frost über den Garten gelegt und der Regen ließ das zarte weiß glitzern wie edlen Schmuck. Kaithlyn zog sich ihren Schal tiefer ins Gesicht. Zusammen mit Rose und ihren Eltern stieg sie in eine der letzten Kutschen. Harlow saß da als würde ihr der plötzliche Wetterumschwung nicht das Geringste ausmachen. Kaithlyn beobachtete die Familie Crossdale, die gerade die Treppe zum Garten
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