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Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Titel: Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Autoren: Holm Friebe
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EINLEITUNG
    Wenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin. Wenn du dich nicht bewegst, musst du wissen, warum. Dieses Buch will nicht sagen, wo es langgeht. Es will vielmehr zeigen, warum das Nicht-Handeln, Stillhalten, Abwarten in vielen Situationen die bessere Wahl ist – und eineOption, die in den Strukturen und Systemen, in denen wir stecken, allzu oft ausgeblendet und hinweggefegt wird von der allgemeinen Drift zum Aktionistischen: Dem zupackenden Macher gehört die Welt, Wagemut schlägt Wankelmut.
    Natürlich, das gleich vorweg, gehen uns, die wir in der Welt etwas erreichen wollen, die Bremser, Verhinderer und Passivisten oft genug auf die Nerven, über deren Schreibtischen eine vergilbte Kopie aus den Zeiten des Fax-Humors hängt: „Wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.“ Wir ärgern uns über ihre Borniertheit nach dem Motto„keineExperimente!“. Unterm Strich aber richten sie deutlich weniger Schaden an als die Umtriebigen und Agilen, die Paniker und Machbarkeitsfanatiker.
    Zwar wird der bedächtig Abwartende niemals Lob und Lorbeeren für seine heroische Kühnheit ernten. Er wird häufig nicht das maximale Resultat erzielen. Aber er wird katastrophale Fehlentscheidungen vermeiden, nicht mit fliegenden Fahnen in sein Verderben rennen und im Zweifel länger am Leben bleiben.
    In diesem Sinne ist die Stein-Strategie bei gewissenhafter Abwägung die klügere Alternative – und ein Gegengift wider voreiliges Handeln, blauäugige Beherztheit und konfusen Hyperaktivismus. Was sie nicht ist: eine Apologie der Faulheit und ein erneutes Loblied auf die „Prokrastination“, das zwanghafte Aufschiebeverhalten. Das Unterlassen als Strategie setzt voraus, dass man immer auch handeln könnte und sich bewusst dagegen entscheidet – und nicht, dass man durch höhere Mächte, Antriebslosigkeit oder eine pathologische Disposition dazu gezwungen wird, in Untätigkeit zu verharren. „Die Bedingung der möglichen Verhaltensalternativen ist ein konstitutives Moment des Unterlassens“, stellt der Philosoph Dieter Birnbacher klar.
    Es geht hier also weniger um die Tradition Fürst Oblomovs, jenes Antihelden aus dem gleichnamigen Gontscharow-Roman, der zum Symbol personifizierter Lethargie („der Mittagsschlaf war das Zentrum seines Tagesablaufs“) und damit zur Identifikationsfigur aller Slacker wurde. Dann schon eher um das Erbe von Herman Melvilles Bartleby, dem Schreiber, der durch seine plötzliche starrköpfige Verweigerungshaltung („I would prefer not to“) sein gesamtes Büroumfeld lahmlegte. Sicherlich kann man sich bei den Vorbildern aus der Richtung von Shakespeares Hamlet bis zu Samuel Becketts trantütigen Helden – den „Athleten des Zauderns“, wie sie der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl nennt – einiges abschauen. Allerdings werden wir uns nicht groß mit ihnen aufhalten und verweisen auf die einschlägige Fachliteratur.
    Zugleich sollte dieses Buch nicht als ein Plädoyer für die angeblich verlernte Kulturtechnik von Muße, Müßiggang und Nichtstun missverstanden werden. Auch davon hat es in den letzten Jahren zur Genüge gegeben. Anders als jene gutgemeinten, zumeist kulturpessimistisch grundierten Mahnungen zu Entschleunigung und innerer Einkehr, zielt die Stein-Strategie auf die Verfolgung und Durchsetzung handfester Eigeninteressen von Individuen und Organisationen. Sie ist eine Lektion in Abwarten und Aussitzen, ein Lob auf die Tugend des Füße-still-halten-Könnens und Kommen-Lassens. In einer von sinnlosem Stress, Hektik und Atemlosigkeit geprägten Zeit ist intentionale Passivität eine rare und zu Unrecht verfemte Kunstform, die durch nichts besser versinnbildlicht wird als durch den ruhenden Stein.
    Manuel De Landa, ein Philosoph des „Neuen Materialismus“, argumentiert in seinem großartigen Buch A Thousand Years of Nonlinear History , dass zwischen der Erd-, Sozial- und Kulturgeschichte mehr strukturelle Ähnlichkeiten bestehen als Unterschiede. Es führt eine direkte, wenn auch keine gerade Linie von der Geologie zur Soziologie: „Wir leben in einer Welt, die von Strukturen bevölkert wird – eine komplexe Mischung aus geologischen, biologischen, sozialen und linguistischen Konstrukten, die nichts sind als Akkumulationen von Material, die von der Geschichte geformt und gehärtet werden.“ In dieser nonlinearen Geschichtsschreibung findet man „Bifurkationslinien“, an denen das System einen Sprung bekommt und in einen anderen Zustand wechselt. Die
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