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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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er ihrem Blick aus. »Wer bist du?«, fragte Sofia, nachdem einige Stunden vergangen waren.
    »Fabiao«, antwortete der Junge.
    »Warum sitzt du hier, ohne etwas zu tun?«, fragte sie weiter. »Warum gehst du nicht in die Schule? Warum hütest du nicht die Ziegen? Warum sitzt du nur herum?« Fabiao gab keine Antwort. Er zuckte nur mit den Schultern.
    Sofia fragte nicht mehr. In dem Augenblick kam eine Frau, die einen Rock geändert haben wollte. »Ich bin zu dick geworden«, jammerte sie. »Meine Kleider passen mir nicht mehr. Schau nur, wie dünn ich früher gewesen bin.«
    Sofia verglich den Rock und die Frau, die vor ihr stand. Plötzlich konnte sie das Lachen kaum zurückhalten. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um das Lachen einzusperren. Die Frau betrachtete sie verständnislos. »Kannst du nicht antworten?«, fragte sie wütend. »Totio hätte längst mit der Arbeit angefangen. Ich verstehe nicht, wie er seine Maschine einem Kind überlassen konnte.« »Ich werde es tun«, sagte Sofia.
    »Wenn es nicht gut wird, bezahle ich nicht«, sagte die Frau.
    »Es wird gut«, antwortete Sofia. »Morgen bin ich fertig.«
    »Das glaube ich erst, wenn ich es sehe«, sagte die Frau und watschelte davon.
    Als Sofia allein war, platzte das Lachen aus ihr heraus. Dann begann sie zu arbeiten. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Sofia breitete den Rock aus. Der Junge unter dem Baum war verschwunden. Stunde um Stunde arbeitete Sofia. Obwohl der Schweiß nur so floss, gönnte sie sich kaum eine Pause um Wasser zu trinken. Das Dorf döste in der Nachmittagshitze. Aber Sofia arbeitete. Die Nähmaschine lief. Der Junge, der unter dem Baum gesessen hatte, war immer noch verschwunden. Die Dämmerung nahte schon, erst da wusste Sofia, dass sie mit dem Rock fertig werden und dass sie es so gut machen würde, dass sogar der strenge Totio das Ergebnis anerkannt hätte. Jetzt konnte sie mit der Arbeit aufhören und sie erst am nächsten Morgen beenden. Sie legte den Rock zusammen und streckte den Rücken. Den ganzen Tag über hatte sie nichts gegessen. Sie ging in die Hütte und holte einige von den Tomaten, die sie am Morgen mitgebracht hatte. Als sie aus der Hütte trat, war der Junge zurückgekehrt. Er stand neben der Nähmaschine.
    »Du darfst sie nicht anfassen«, rief Sofia.
    »Das werde ich auch nicht tun«, antwortete der Junge, der Fabiao hieß. »Ich habe etwas für dich.«
    Sofia stieß die Krücken fest in die Erde und hüpfte zur Bank und setzte sich.
    Der Junge stand vor ihr. Er hatte einen Korb in der Hand. »Da ist ein Mädchen, das möchte, dass du ihr ein Kleid nähst«, sagte er. Er reichte ihr den Korb. Darin lag ein weißes Stück Stoff. Sofia befühlte den Stoff. Er war weich, fast wie Seide.
    »Für wen ist das Kleid?«, fragte sie.
    »Sie hat nicht gesagt, wie sie heißt«, antwortete Fabiao. »Aber sie hat mir das Geld schon im Voraus gegeben.« Er legte einige Scheine auf den Tisch neben die Nähmaschine.
    »Ich muss aber wissen, wie groß das Mädchen ist«, sagte Sofia. »Ich kann kein Kleid nähen ohne zu wissen, wie groß es werden soll.«
    »Es soll dir passen«, sagte Fabiao. »Sie hat gesagt, ihr seid gleich groß.«
    Sofia war es plötzlich ganz komisch zu Mute. Sie legte den Stoff zurück in den Korb.
    »Wer ist dieses Mädchen?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht«, sagte Fabiao. »Eine alte Frau hat mir den Stoff und das Geld gegeben.«
    »Wann soll das Kleid fertig sein?«
    »Vorm nächsten Vollmond.«
    Sofia sah Fabiao lange an, bevor sie antwortete.
    »Richte der alten Frau aus, dass ich ein weißes Kleid nähen werde«, sagte sie. »Ein weißes Kleid, das mir passen wird.«
    Fabiao nickte und lief davon. Die Dämmerung senkte sich. Gedankenvoll zündete Sofia ein Feuer an. Sie war zu müde um etwas zu essen. Sie setzte sich nur auf ihre Bastmatte und sah in die Flammen. Die Holzhaube hatte sie über die Nähmaschine gestülpt. Niemand durfte Totios Nähmaschine stehlen.
    Im Korb neben ihr lag der weiße Stoff. Jetzt wusste Sofia, dass Muazena zurückgekehrt war. Maria sollte das Kleid bekommen. Maria, die tot war und dennoch da war, in ihr oder tief drinnen im Feuer, das vor ihren Augen flackerte. Maria würde es immer dort geben. Ich werde das Kleid nähen, dachte Sofia. Ich werde es so schön machen, wie ich nur kann. Und einmal, wenn ich lange Zeit hart gearbeitet und genügend Geld verdient habe, werde ich Lydia, Alfredo und Faustino nehmen und wir werden nach Hause in das Dorf
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