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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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Maschine. »Fünfunddreißig Jahre lang habe ich auf dieser Maschine genäht«, sagte er. »Wie viele Meilen Garn das sind, die sich durch die Nadel und in Hosen, Kleider, Hemden und Mützen hinein-und wieder herausgeringelt haben, das weiß ich nicht. Aber der Faden schlängelt sich durch mein Leben. Und jetzt ist es vorbei.«
    Sofia merkte, dass Totio traurig war. Bestimmt war es schwer, alt zu werden und nicht mehr arbeiten zu können.
    Aber sie fragte nicht, ob es so war. Sie sagte nichts. Die Sonne war schon aufgegangen.
    Totio bückte sich und hob etwas auf, das unter der Bank lag, und gab es Sofia. Es war ein Viereck aus fester, weißer Pappe. Darauf hatte jemand geschrieben: Nähatelier. Inhaberin: Sofia Alface.
    »Wenn du morgen kommst, ist das Schild angebracht«, sagte Totio. »Wenn du kommst, ist mein Schild weg. Und wir sind fort, Fernanda und ich. Die Hütte gehört dir. Und die Nähmaschine. Und alle Kunden.« Sofia merkte, dass ihr Herz schneller schlug. Sie begann vor Freude zu schwitzen.
    So war es also. Sie sollte die Maschine und die Hütte übernehmen dürfen. Morgen.
    »Vergiss nicht, dass nur zufriedene Kunden wiederkommen«, sagte Totio. »Unzufriedene Kunden kommen nur einmal und dann nie mehr.« »Ich muss noch so viel lernen«, sagte Sofia. »Ich auch«, antwortete Totio. »Man ist niemals vollendet.«
    Das Schnarchen in der Hütte hatte aufgehört. Und dann kam Fernanda heraus. Sie gähnte und schlang die Capulana um ihren riesigen Körper.
    »Ich möchte, dass du weißt, es war Fernandas Vorschlag«, sagte Totio. »Als ich spürte, dass meine Augen nachließen, sagte ich, ich wolle die Nähmaschine verkaufen. Aber Fernanda fand es besser, wenn du die Arbeit fortführst und uns hin und wieder Geld schickst.« Fernanda hatte sich auf die Bank gesetzt. Sofia war zwischen ihr und Totio eingeklemmt.
    »Auf einer Nähmaschine soll man nähen«, sagte Fernanda. »Die soll man nicht verkaufen.«
    »Ich weiß nicht, wie ich euch jemals danken soll«, sagte Sofia verlegen.
    »Du sollst dich nicht bedanken«, sagte Fernanda. »Du sollst nähen.«
    Sofia blieb den ganzen Tag bei Totio und Fernanda. Sie half ihnen packen. Früh am nächsten Morgen wollten sie aufbrechen.
    Zuerst wollten sie mit all ihren Bündeln und Körben zur Hauptstraße gehen. Dann mussten sie einen Bus nehmen, der viele Tage unterwegs sein würde, ehe er das entlegene Mueda erreichte, wo sie einmal gewohnt hatten. Im Lauf des Tages kamen viele Menschen aus dem Dorf und verabschiedeten sich. Totio redete die ganze Zeit davon, was für eine tüchtige Näherin Sofia war. Zu ihr sollten sie gehen, wenn sie etwas genäht oder geflickt haben wollten. Am späten Nachmittag sagten sie einander Lebewohl. »Ich habe mit einem Jungen gesprochen, der wird die Nähmaschine heute Nacht bewachen«, sagte Totio. »Niemand wird sie stehlen.«
    Dann gab es nichts mehr zu bereden. Fernanda streichelte Sofia die Wange, Totio gab ihr seine runzlige, aber kräftige Hand. Er hielt ihre Hand lange fest. Sofia hüpfte auf ihren Krücken heim. Ihr war klar, daß man sie sehr vermisst hatte.
    Als sie zu Abend gegessen hatten, blieb Lydia sitzen. Sofia wusste, dass sie über etwas sprechen wollte. Das Feuer flackerte und Sofia sah Lydia ins Gesicht. Ihr kam es vor, als ob Lydia, die noch jung war, abgearbeitet und müde wirkte. Als ob sie schon alt geworden war, obwohl sie noch viel mehr Kinder zur Welt bringen konnte. »Ich habe nicht viele Wörter«, sagte sie. »Aber ich habe viele Gedanken. Als ich dich und Maria dort auf dem Pfad sah, dachte ich, mein Leben sei zu Ende. Alles ist mir genommen worden, mein Mann Hapakatanda, mein Dorf, meine Kinder. Aber du hast überlebt und jetzt hast du ein eigenes Haus und eine Nähmaschine. Du hast zwei neue Beine, und hier im Dorf spricht man respektvoll über dich. Ich glaube, Hapakatanda und Maria sehen dich. Und sie sind genauso stolz wie ich.« »Vergiss Muazena nicht«, sagte Sofia. »Sie war eine Zauberin«, sagte Lydia. »Vor ihr habe ich mich gefürchtet.«
    »Ich nicht«, sagte Sofia. »Und Maria auch nicht.« »Ich möchte jedenfalls, dass du weißt, wie stolz ich auf dich bin«, sagte Lydia. »Durch dich ist mir eine Freude erhalten geblieben.«
    So hatte Lydia noch nie zu ihr gesprochen. Es war ein fremdes und ungewohntes Gefühl. Aber es machte Sofia froh.
    Lydia ging in die Hütte und legte sich schlafen. Da Sofia ihre Habseligkeiten schon gepackt hatte, blieb sie am Feuer sitzen. Bald hörte sie,
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