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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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Monaten zusammen mit ihr so viele Meilen zu Fuß zurückgelegt hat. Dadima streicht Asha eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr, und bei dieser Berührung schließt Asha fest die Augen. Sie spürt, wie sich ihr Gesicht verzieht, als ihr die Tränen kommen.
    » Beti .« Dadima legt eine Hand auf Ashas Hände und streicht ihr mit der anderen übers Haar, wiederholt diese schlichte Geste immer wieder, während Asha weint.
    »Ich weiß nicht, wie ich dir für alles danken soll. Nicht zu glauben, dass ich zwanzig Jahre gebraucht habe, um herzukommen.« Sie holt tief Luft, bevor sie weiterspricht. »Als ich hier angekommen bin, habe ich gedacht, ich wüsste, wo’s langgeht, aber ich habe so vieles ganz falsch eingeschätzt. Ich glaube, es gibt noch immer viel, was ich nicht weiß.«
    »Ah, beti «, sagt Dadima, »so ist das mit dem Erwachsenwerden. Das Leben verändert sich andauernd, erteilt uns neue Lektionen. Sieh mich an, ich bin sechsundsiebzig und lerne erst jetzt, wie es ist, weiß zu tragen.« Asha ringtsich ein Lächeln ab. »Da fällt mir ein, ich habe noch was für dich.« Dadima steht auf und geht zur Tür.
    »Dadima, nein!«, sagt Asha. »Ich bin froh, dass ich den Koffer zuhabe.« Sie lässt sich lachend rückwärts aufs Bett fallen und wischt sich mit den Handballen die Augen.
    »Dann musst du eben noch einen mitnehmen«, sagt Dadima und schlurft aus dem Zimmer. Sie kommt mit einem Karton wieder und setzt sich neben Asha aufs Bett. Sie greift in den Karton, nimmt ein dickes verstaubtes Buch heraus und reicht es Asha.
    Asha fährt mit der Hand über den dunkelblauen Deckel und die goldenen Lettern: Oxford English Dictionary . »Wow. Das muss fünfzig Jahre alt sein.«
    »Noch älter«, sagt Dadima. »Mein Vater hat es mir zu meinem Schulabschluss geschenkt, vor ungefähr … sechzig Jahren. Ich habe dir ja erzählt, dass er ein Englandfreund war. Ich fand das Wörterbuch wirklich praktisch, als ich später Nachhilfeunterricht gegeben habe. Du wirst beruflich viel bedeutsamere Sachen machen, das weiß ich. Stell das Buch auf deinen Schreibtisch, damit es dich daran erinnert, wie viel Vertrauen ich in dich setze, genau wie mein Vater damals in mich.«
    Asha nickt, und wieder werden ihre Augen feucht. »Das werde ich«, flüstert sie.
    »Und hier habe ich noch was.« Dadima reicht ihr eine blaue rechteckige Samtschatulle. Asha entriegelt den Verschluss und öffnet den Scharnierdeckel. Sie stutzt, als sie sieht, was darin liegt. Es ist ein passendes Schmuckset, sattgelbes Gold, besetzt mit leuchtend grünen Smaragden: eine Halskette, Ohrhänger und vier Armreife. Sie blickt zu ihrer Großmutter auf, den Mund leicht geöffnet.
    Dadima zuckt die Achseln. »Was soll ich noch mit Schmuck anfangen, in meinem Alter? Ich gehe auf keineHochzeiten mehr. Diesen Schmuck habe ich auf meiner eigenen Hochzeit getragen.«
    »Ach Dadima, willst du ihn denn nicht behalten?« Asha blickt sie fassungslos an.
    Dadima schüttelt den Kopf. »Es ist Sitte bei uns, ihn an die Tochter weiterzugeben. Ich möchte, dass du ihn bekommst. Und Dadaji würde das auch wollen.« Asha nickt und starrt auf den wunderschönen Schmuck vor ihr. »Außerdem steht er dir blendend«, sagt Dadima und hält einen der Ohrhänger neben Ashas Gesicht. »Bringt deine Augen zur Geltung.« Während sie sich umarmen, sagt Dadima leise: »Wirst du deinen Eltern erzählen, was du herausgefunden hast, beti , im Waisenhaus?«
    Sie lösen sich voneinander, Asha wischt sich übers Gesicht und nickt. »Wenn wir zu Hause sind. Ich weiß nicht, wie sie’s aufnehmen werden, vor allem Mom, aber sie haben es verdient, die Wahrheit zu erfahren.«
    Dadima umfasst mit ihren kühlen faltigen Händen Ashas Gesicht. »Ja, das haben wir alle, beti .«

59
Neue Hoffnung
    Mumbai, Indien – 2005
Somer

    Somer ist dabei, ihren Koffer zu packen, als es an der Tür klopft. »Herein«, sagt sie und rechnet mit Asha.
    Stattdessen betritt Kris’ Mutter den Raum, in den Händen einen großen Karton. »Hallo, beti , ich habe hier ein paar Sachen für euch.«
    »Oh, Krishnan ist gerade nach unten gelaufen, um sich von einem Nachbarn zu verabschieden.«
    »Macht nichts«, sagt Sarla, nimmt ein dickes, in weißes Tuch eingewickeltes Bündel aus dem Karton und legt es aufs Bett. »Die hier sind nicht für ihn, sondern für dich.«
    Somer schiebt ihren Koffer beiseite und setzt sich aufs Bett. Sarla löst die Kordel von dem Bündel, und als sie das weiße Tuch zurückschlägt, kommt ein Stapel
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