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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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dir.«
    Kavita verbrachte die nächsten zwei Tage zusammengerollt auf der Strohmatte auf dem Hüttenboden. Sie traute sich nicht zu fragen, was mit ihrem Baby geschehen war. Ob die Kleine ertränkt oder erstickt worden war oder ob man sie einfach irgendwo hatte verhungern lassen, Kavita hoffte bloß, dass es ein gnädiger, schneller Tod gewesen war. Letztendlich würde der winzige Körper ihrer Tochterbeerdigt worden sein, nicht eingeäschert, was wenigstens ihren Geist freigesetzt hätte. Wie so viele andere kleine Mädchen würde auch ihre Erstgeborene viel zu früh der Erde zurückgegeben.
    In jenen zwei Tagen erhielt Kavita keinerlei Besuch außer von der Hebamme, die ihr zweimal am Tag etwas zu essen und frische Tücher brachte, um damit das Blut aufzusaugen, das aus ihrem Körper floss. Sie weinte, bis ihre Augen wund waren, bis sie glaubte, keine einzige Träne mehr übrig zu haben. Aber wie sich herausstellte, war das bloß der Beginn ihrer Trauer, die noch quälender wurde, als ihre Brüste ein paar Tage später Milch produzierten und ihr im Monat darauf die Haare ausfielen. Und nach dieser Nacht blieb ihr jedes Mal das Herz stehen, wenn sie ein kleines Kind sah, und die Erinnerung holte sie erneut ein.
    Als sie aus ihrer Trauer wieder auftauchte, sprach niemand sie auf ihren Verlust an. Keiner der anderen Dorfbewohner schenkte ihr ein aufmunterndes Wort oder eine tröstende Berührung. In dem Haus, das sie und Jasu gemeinsam mit seiner Familie bewohnten, erntete sie höchstens verächtliche Blicke und ungebetene Ratschläge, wie sie das nächste Mal mit einem Jungen schwanger werden könnte. Kavita war seit Langem daran gewöhnt, kaum Einfluss auf ihr eigenes Leben zu haben. Als Achtzehnjährige war sie mit Jasu verheiratet worden und sie hatte sich mit der täglichen Mühsal aus Wasserholen, Wäschewaschen und Essenkochen abgefunden. Den ganzen Tag über tat sie, was ihr Mann von ihr verlangte, und auch wenn sie nachts beisammenlagen, fügte sie sich seinem Willen.
    Doch nach dem Baby veränderte sie sich, wenn auch nur in kleinen Dingen. Sie gab noch eine rote Chilischote mehr in das Essen ihres Mannes, wenn sie wütend aufihn war, und schaute dann mit stiller Genugtuung zu, wie er sich das ganze Abendessen hindurch Stirn und Nase wischte. Wenn er sie nachts bedrängte, verweigerte sie sich ihm manchmal mit der Begründung, sie habe ihre Regel. Mit jeder kleinen Rebellion spürte sie ihr Selbstvertrauen wachsen. Und als sie wieder schwanger wurde, beschloss sie, dass diesmal alles anders kommen würde.

2
Sauber
    San Francisco, Kalifornien – 1984
Somer

    Die medizinische Fachzeitschrift fällt Somer aus der Hand, und sie hält sich den Unterleib. Sie erhebt sich von der Couch und stolpert Richtung Badezimmer, stützt sich dabei auf dem Weg durch den langen Flur ihrer viktorianischen Wohnung an der Wand ab. Obwohl sie sich wegen der stechenden Schmerzen krümmt, zieht sie ihren Bademantel beiseite, ehe sie sich auf die Toilette setzt. Sie sieht das hellrote Blut, das an der blassen Haut ihrer Oberschenkel hinabrinnt. »Nein. Oh Gott, bitte, nein.« Ihr Flehen ist leise, aber beschwörend. Es ist niemand da, der sie hören könnte. Sie presst die Beine zusammen und hält den Atem an. Bleib ganz still sitzen, vielleicht hört die Blutung dann auf.
    Vergeblich. Sie legt das Gesicht in die Hände, und die Tränen kommen. Sie sieht zu, wie sich die rote Pfütze in der Toilettenschüssel ausbreitet. Ihre Schultern beginnen zu beben, und ihre Schluchzer werden lauter und länger, bis ihr ganzer Körper von ihnen überwältigt wird. Sie schafft es, Krishnan anzurufen, nachdem die Krämpfe etwas abgeklungen sind. Als er nach Hause kommt, liegt sie eng zusammengerollt auf dem ungemachten Himmelbett im Schlafzimmer. Sie hat sich ein Handtuch zwischen die Beine gedrückt, einst flauschig und zart vanillefarben, ein Geschenk zu ihrer Hochzeit vor fünf Jahren. Sie hatten den Farbton gemeinsam ausgesucht – nicht krankenhausweiß, nicht langweilig beige –, ein eleganter Cremeton, jetzt blutgetränkt.
    Kris setzt sich auf die Bettkante und legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Bist du sicher?«, fragt er leise.
    Sie nickt. »Genau wie letztes Mal. Krämpfe, Blutung …« Sie fängt wieder an zu weinen. »Diesmal mehr Blut. Ich schätze, weil ich weiter war …«
    Kris reicht ihr ein Papiertaschentuch. »Okay, Schatz. Ich rufe Dr. Hayworth an und frage, ob wir gleich zu ihm ins Krankenhaus kommen können. Brauchst
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