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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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du irgendwas?« Er legt eine Decke über sie, drückt sie um die Schultern fest. Sie schüttelt den Kopf und rollt sich auf die Seite, weg von Krishnan, der sich mehr wie ein Arzt verhält als wie der Ehemann, den sie dringend braucht. Sie schließt die Augen und berührt ihren Bauch, wie sie es zahllose Male am Tag tut, aber diese Geste, die ihr normalerweise Trost gibt, fühlt sich jetzt wie eine Strafe an.
    Das Erste, was Somer sieht, als sie die Augen öffnet, ist der Infusionsständer neben ihrem Bett. Sie schließt sie rasch wieder in der Hoffnung, den Traum weiterträumen zu können, in dem sie ein kleines Kind auf einer Spielplatzschaukel anstößt. War es ein Mädchen oder ein Junge?
    »Der Eingriff ist gut gelaufen, Somer. Alles ist jetzt wieder sauber, und ich habe nichts feststellen können, das mich zu der Annahme verleiten würde, Sie könnten in einigen Monaten nicht einen weiteren Versuch starten.« Dr. Hayworth blickt in seinem frischen weißen Kittel vom Fußende des Bettes auf sie herab. »Versuchen Sie, sich etwas zu erholen, und ich sehe dann noch einmal nach Ihnen, bevor Sie entlassen werden.« Er tätschelt ihr leicht das Bein durch die Bettdecke, ehe er sich umdreht und geht.
    »Danke, Doctor«, ertönt eine Stimme von der anderen Seite des Zimmers, und Somer bemerkt erst jetzt, dass Krishnan da ist. Er tritt ans Bett und beugt sich über sie, legt ihr eine Hand auf die Stirn. »Wie fühlst du dich?«
    »Sauber«, sagt sie.
    Er runzelt die Stirn und legt den Kopf schief. »Sauber?«
    »Er hat sauber gesagt. Dr. Hayworth hat gesagt, ich bin wieder sauber. Was war ich denn vorher? Als ich schwanger war?« Ihre Augen richten sich auf die summende Neonröhre über dem Bett. Mädchen oder Junge? Welche Augenfarbe?
    » Ach, Schatz. Er meint doch bloß … Du weißt, was er meint.«
    »Ja, ich weiß, was er meint. Er meint, dass jetzt alles weg ist: das Baby, die Plazenta, alles. Mein Uterus ist wieder hübsch und leer. Sauber .«
    Eine Krankenschwester kommt herein und lächelt. »Zeit für Ihr Schmerzmittel.«
    Somer schüttelt den Kopf. »Ich will nichts.«
    »Schatz, du solltest es nehmen«, sagt Krishnan. »Dann fühlst du dich bald wieder besser.«
    »Ich will mich nicht besser fühlen.« Sie dreht sich von der Schwester weg. Sie verstehen nicht, dass sie nicht nur das Baby verloren hat. Sie hat alles verloren. Die Namen, die sie im Kopf aufzählt, nachts im Bett. Die Farbmuster, die sie in ihrer Schreibtischschublade fürs Kinderzimmer gesammelt hat. Die Träume, wie sie ihr Kind in den Armen wiegt, wie sie bei den Schularbeiten hilft, wie sie anfeuernd an der Seitenlinie vom Fußballplatz steht. Das alles ist weg, verschwunden in dem dichten Nebel draußen. Sie verstehen das nicht. Nicht die Schwester, nicht Dr. Hayworth, nicht mal Krishnan. Sie sehen sie bloß als eine Patientin, die behandelt werden muss, als ein menschliches Gerät, das repariert werden muss. Bloß ein weiterer Körper, der gesäubert werden muss.

    Somer wird wach und drückt den Knopf am Krankenhausbett, um sich aufzusetzen. Sie nimmt verschwommen Konservengelächter wahr, das von einem Fernseher in der Ecke kommt, irgendeine Spielshow, die Krishnan angelassen hat, als er in die Cafeteria gegangen ist. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich in einem Krankenhaus so unwohl fühlen könnte, an einem Ort, wo sie volle fünf Jahre ihres Lebens zugebracht hat. Sie weiß noch, welche Begeisterung sie jedes Mal durchströmte, wenn sie über die sterilen Korridore ging und das Knistern des Lautsprechers oben an der Wand hörte. Rituale wie ihren weißen Kittel anzuziehen oder eine Patientenakte aufzuschlagen gaben ihr stets einen Schuss Selbstvertrauen. Das hatte sie und Krishnan einst verbunden, dieses Gefühl, als Arzt etwas Sinnvolles zu tun und das Metier zu beherrschen. Jetzt, so weiß sie, ist das eine weitere Sache, die sie noch mehr auseinandertreiben wird. Sie kann es nicht ausstehen, Patientin zu sein, hasst es, dass sie das hier nicht reparieren kann.
    Sie sollte eigentlich noch gar nicht hier sein, in diesem Krankenhaus, das sie gezielt des Schwerpunkts wegen ausgesucht hat: Geburtshilfe. Achttausend Geburten pro Jahr. Allein heute kommen zwanzig Babys zur Welt. Heute, während ihr totes Baby aus ihr herausgeschabt wurde. Auf der Etage direkt unter ihrer hat jede Frau auf der Station ein schlafendes Baby in ihrem Zimmer liegen. Es scheint so leicht zu sein für alle anderen: die Mütter, die sie jeden Tag in ihrer
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