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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
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2001, so viel war klar, würde die Welt für immer verändern. Berlins große Zeit war nun vorbei. Der Mittelpunkt der Welt, der Ort, wo die Musik spielt, war jetzt nicht mehr Berlin. Wie alle Berliner wusste auch ich nun endgültig: Ab jetzt gibt es wirklich keinen Grund mehr, nachts die Schuhe anzulassen.

    Epilog
    Heute gehört Karl der Laden an der Ecke, der jetzt eigentlich eine Ebay-Annahmestelle ist, in der Karl mir zuliebe aber auch Zigaretten verkauft. Also, er hat ihn natürlich nur gemietet, von den Geldern seiner Ich-AG-Förderung. Wenn die Förderung ausläuft, wird wohl ein anderer Ich-AG-Laden einziehen. Für 'n halbes Jahr. Es sei denn, Jochen, dessen neue Uckermärkische Wohnungsgesellschaft das Haus kürzlich gekauft hat, drückt ein Auge zu.
    Letzte Woche hat Karl mir unter der Hand die DVDs der kompletten Folgen von «Allein gegen die Mafia» besorgt. Seitdem liegen die bei mir zu Hause. Aber obwohl so ja eigentlich gar nichts passieren kann, trau ich mich einfach nicht, die entscheidende Folge endlich mal… wobei, interessieren würd's mich ja irgendwo schon.

Es kommt, wie es kommt
    Wenn ich früher, also speziell in den ersten Jahren in Berlin, Besuch von außerhalb bekommen habe, habe ich mich darauf immer sehr gewissenhaft vorbereitet. Nicht nur, dass ich tagelang die Wohnung aufgeräumt und geputzt habe, damit jeder gleich sieht: «Mensch, der Horst kann aber gut putzen, schön sauber is' das in Berlin.»
    Mehr noch, um wirklich zu beeindrucken, habe ich auch die Speicherplätze in der Fernbedienung geändert. Statt Sat. l, ProSieben, RTL1, 2 usw. kamen 3sat, Arte und die dritten Programme auf die einstelligen Plätze. Die Kicker- und Fernsehzeitschriften wurden versteckt und stattdessen in der ganzen Wohnung linguistische Fachbücher und Schöngeistiges von Balzac oder Kleist ausgelegt. Und ich gestaltete das Badezimmerregal komplett neu, indem ich die Aspirin-, Rennie- und Alka-Seltzer-Packungen gegen bürgerlichen Shampoo- und Hygienekram ausgetauscht habe.
    Nach dem Besuch dauerte es dann manchmal Wochen, bis sich die Wohnung wieder in einen für mich normal bewohnbaren Zustand zurückverwandelt hatte. Wenn ich den Besuch so richtig beeindrucken wollte, habe ich sogar eine Wohnungsanzeige aufgegeben. Für eine superschöne, irrsinnig günstige Wohnung in bester Lage, mit dem ausdrücklichen Vermerk: «Nur an Akademiker!» Das verfehlte seine Wirkung nie: «Mensch, und auch mit dem Studium läuft das für den Horst richtig gut. Ständig rufen da die Professoren und Doktoren an. Und alle immer ganz freundlich und wollen ganz, ganz dringend den Horst sprechen.»
    Dann jedoch kam die Zeit, wo es mir langsam mit dem Besuch zu viel wurde. Genau genommen kam diese Zeit sogar ziemlich schnell. Und ehrlich gesagt wurde es mir sogar mit dem ganzen Leben zu viel. Diesen ständigen lästigen Pflichten wie Aufstehn, Waschen, Essen und was weiß ich nicht noch alles. Ich war nun richtig in Berlin angekommen. Hatte mich auf den Rhythmus dieser Stadt eingependelt.
    Ich wurde nachlässiger, auch was den Besuch angeht. So kam es nicht selten vor, dass es auf einmal an der Tür klingelte, und ein Mensch mit Reisetasche stand für mich sehr überraschend davor. Da hieß es spontan sein. «Oh, hallo. Was machst du denn hier? Nein, natürlich hab ich deinen Anruf abgehört. Du hattest überlegt zu kommen. Na, das is' dann ja wohl jetzt ziemlich konkret geworden.
    Wie lange?… Oh, schön, da hamm wir ja richtig Zeit zum Reden. Dann können wir das ja auch noch später… Müssen ja nich' gleich…
    Kaffee? Mmh. Ich auch. Machste uns einen? Oh, keiner da. Holste grad welchen? Und wennde schon gehst, kannste auch noch gleich Brötchen, Butter, Wurst, Marmelade und Zeitung mitbringen?»
    In noch schlimmeren Fällen hab ich mir vor einem angekündigten Besuch sogar überlegt, was mal renoviert werden müsste, um dann den Besuch gleich in Malerklamotten zu empfangen:
    «Ah, schon da, so früh. Mensch, ich bin grad noch, kannste mir grade bei der Wand helfen.»
    Erstaunlich, was man zu zweit so alles schafft.
    Ab und zu wirke ich einem bevorstehenden Besuch auch präventiv entgegen. Indem ich Berlin-Besuch-Vorbereitungsblätter verschicke:
    «Hallo, ich freue mich schon sehr auf deinen Besuch, aber damit dein Berlinaufenthalt auch wirklich ein voller Erfolg wird, ist es sicherlich sinnvoll, wenn du ein paar unabdingbare Vorbereitungen triffst und ein paar Regeln kennst.
    1.     Berlin hat viel zu bieten. Man
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