Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
Vom Netzwerk:
Zooterrassen verabredet, komm doch einfach dazu.
    Weder Frederic noch ich kennen irgendeine Conny, aber wie ich Frederic kenne, reicht die Erwähnung irgendeines Frauennamens völlig, um sicherzugehen, dass er erscheint.
    Im Bus summt der Mann auf der Bank neben mir: «I wanna be daylight…» Stupse ihn an und sage:
    - Sie Memme, ich bin schon um «We have a dream» aufgestanden.
    Er ist beeindruckt.
    Im Café erscheint Frederic nicht. Dafür höre ich kurz nach zehn eine andere, mir mittlerweile wohlvertraute Stimme durchs Lokal rufen.
    - Hallo, Herr Ebbers!
    Ohne lange zu fragen, setzt sich Herr Kruppka zu mir.
    - Sie waren nicht zu Hause, aber ich habe dann ja von Ihrem Band erfahren, wo Sie sind. Sie wollten nochmal über den Alarmstopper reden?
    - Eigentlich nicht.
    - O doch, glauben Sie mir, das wollen Sie. Haben Sie denn wirklich kein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis? Fühlen Sie sich nicht manchmal irgendwie bedroht?
    Dieser Kruppka ist wirklich außerordentlich gut in dem, was er tut. Unterschreibe dieses Mal einen Vertrag ohne Widerrufsrecht.
    Rund eine Woche später erhalte ich per Post den Alarmstopper. Hochempfindlich, dieses Gerät. Noch in derselben Nacht höre ich aus vier verschiedenen Wohnungen andere Alarmstopper losheulen. Um 2.00 Uhr, um 3.30 Uhr, um 4.15 Uhr und um 6.07 Uhr. Da hatte ich dann immerhin noch 23 Minuten seligen Schlaf, bis um 6.30 Uhr der Radiowecker meines Nachbarn losging. Dafür sind wir jetzt aber auch das wahrscheinlich sicherste Haus in ganz Berlin. Kruppka hat wirklich ganze Arbeit geleistet.

Wo war ich, als…
    Erst mal war ich stinksauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989. Grad hatte ich mich nach einem langen, harten Tag einmal hingesetzt, um die nächtliche Folge meiner damaligen Lieblingsserie «Kampf gegen die Mafia» zu gucken. Da passiert's: Alle nachfolgenden Sendungen auf unbestimmte Zeit verschoben, weil irgendwer irgendwem auf irgendeiner Pressekonferenz irgendeinen Zettel zugesteckt hat. Zack, und dann wurd auch schon zum Grenzübergang Bornholmer Straße geschaltet. Na toll. Bis heute weiß ich nicht, wer in der Serie warum Vinnie Terranovas Tarnung hat auffliegen lassen.
    Obwohl's damals nur ein paar hundert Meter zum Grenzübergang gewesen wären, ist es mir irgendwie nicht gelungen, mich in dieser Nacht vom Fernseher zu lösen. Weil ich Angst hatte, etwas vom Geschehen zu verpassen, wenn ich zum Geschehen selbst hingehen würde. Wobei es aber zunehmend schwieriger wurde, den Fernseher überhaupt noch zu verstehen, weil das Getöse von draußen immer lauter wurde. Bin erst zum Fenster: «Mal Ruhe da draußen, hier wird Geschichte gemacht, und ich kann's nicht verstehen, weil ihr da so 'n Radau macht!» Hab dann einfach den Fernseher auf volle Lautstärke gestellt. Wer sich noch an die eine große Rückkopplung in der Übertragung erinnert: Das war ich.
    Aber halt. Der wirkliche Grund, warum ich in jener Nacht nicht mehr raus bin, war ein anderer. Ich war schlicht zu faul, mir nochmal Schuhe und Jacke anzuziehen. Hab mir später deshalb oft Vorwürfe gemacht. Was sollen die eigentlich noch veranstalten, damit du mal ausse Puschen kommst? Da machen die 28 Jahre Mauer, mit allem Spektakel und Spannung aufbauen, nur für den einen Moment, wo sie da aufgeht, sich alle Spannung löst, alles jubelt, freut, tanzt, wo mal richtig amtlich Geschichte gemacht wird; und du: «Oooh nöö, hab mich grad hingesetzt, mooohh, könnt ihr das nich tagsüber machen…» Was für eine Niederlage.
    Später hat sich das ein bisschen zum Trauma ausgewachsen. Einige Jahre hab ich deshalb in Schuhen und Jacke geschlafen, aus Angst, gleich passiert wieder was Historisches, und ich verpasse es, weil ich zu faul bin, die Schuhe anzuziehen. Hat viele meiner Freunde irritiert. Speziell auch Freundinnen. Bis mir Mitte der 90er Jahre eine von ihnen lückenlos nachweisen konnte, wie unwahrscheinlich es ist, dass nochmal die Mauer aufgeht. Großartige Frau.
    Nachdem in jener Nacht der Fernsehreporter dann zum 347. Mal jemanden gefragt hatte, ob er das alles je für möglich gehalten hätte, und dieser Mensch, der auch ich hätte sein können, entrückt und aufrichtig antwortete: «Wahnsinn!», bin ich eingeschlafen.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, war die Stadt bekloppt geworden. Im Laden an der Ecke, der damals eigentlich eine Mitfahrzentrale war, aber aus irgendwelchen Gründen auch Zigaretten verkaufte, fragte mich der Besitzer, ob ich dies alles jemals für möglich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher