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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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überzulaufen. Wasserzungen suchten sich Wege zwischen den Blumenbeeten, durch das Bambus sah er die Lichter der Villa und schattenhaft die Reste der Festgesellschaft, die sich unter dem Terrassendach sammelte, er hörte Lachen. An seinen Schuhen klebte Schlamm. Als er sich der Villa näherte, sah er N., die unter der Terrasse stand und ein Handtuch über ihren Schultern trug. Néro hielt ihre Schultern und trocknete sie ab. N. lächelte und redete, während Néro ihre Schultern abtrocknete, Röhricht stand auch dabei. N. war älter geworden. In dem Licht der Terrasse sah man das. Er konnte da unmöglich hingehen, zu diesen Leuten.
    Neben der Villa führte im Halbdunkel ein gepflasterter Weg zu einem Seiteneingang, diesen Weg schlug er ein, während es immer noch regnete. Er fand ein Tor, das verschlossen war, und kletterte über dieses Tor, hoffend, dass es keine Alarmanlage gab, mit Sirene und Flutlicht. Von dem Tor aus konnte er den Parkplatz sehen, wo sein Auto stand. Als er gerade im Begriff war, schwankend, aber erfolgreich das Tor zu bezwingen, bemerkte er, dass auf dem Parkplatz die Tonfrau stand. Sie hatte ihm einen Zettel mit ihrer Telefonnummer gegeben. Sie stand da, unter einem Schirm, und schaute ihm zu. Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen. Als Gerster auf der anderen Seite des Zauns gelandet war, klappte sie den Schirm zu, stieg in ihren Wagen und fuhr davon.
    Jetzt war also der nächste Morgen gekommen, und der Frühling war gekommen, und wieder gegangen, und der Sommer war da, ein anderer Sommer folgte ihm, und noch einer. Gerster ging, Woche für Woche, in diese Bar, von der er wusste, dass sie die Lieblingsbar von N. gewesen war und in der sie so oft zusammen gesessen hatten. Man kannte ihn. Man hatte sich an ihn gewöhnt. Gerster wartete, und er wusste nicht, was er tun würde, wenn N. tatsächlich kam. Und wenn es bei dem Sommerfest nicht geregnet hätte? Was dann? Er wollte, dass es aufhört, aber es hörte einfach nicht auf.

22
     
    Viel Zeit habe ich nicht, so viel sage ich gleich. Ich arbeite. Wenn Sie ein Buch schreiben, sind Sie anders als sonst, in einer besonderen Verfassung. Man ist ein egozentrisches Monster. Ich meine, ein noch größeres Monster als sowieso. Man kümmert sich nicht um Freunde oder um die Familie, falls vorhanden, man geht nicht ans Telefon. Du versuchst, dich zu konzentrieren. Wenn du dieser Sache nicht absolute Priorität einräumst, kannst du es vergessen.
    Ich spreche Ihnen ein bisschen was in mein Aufnahmegerät. Schauen Sie halt. Bringen Sie’s in eine Form. Sie wollten, dass ich ehrlich bin, das werde ich sein, das bin ich meistens.
    Ich habe zu der Zeit gearbeitet, wie jetzt. Die Geschichte, die ich zu erzählen hatte, war nicht das Problem, eher die Form, die ich ihr gebe. Ich wollte versuchen, eine exemplarische Biographie der Gegenwart zu erzählen, in lauter Fragmenten, in Momentaufnahmen, in Bruchstücken, wie immer sie es nennen wollen. Weil das Leben eben so ist. Man nimmt es nicht als eine Linie wahr, die von Punkt A nach Punkt B führt, womöglich mit einer Pointe am Schluss. Das Leben ist kein Spielfilm. Im Leben wiederholt sich zum Beispiel vieles, anderes verläuft im Sand, wie erzählt man das? Erinnern Sie sich. An ein bestimmtes Jahr, an eine Phase Ihres Lebens, vielleicht die Schulzeit. Was sehen Sie? Eine Geschichte? Nein. Sie sehen Szenen und Gesichter. Da habe ich den gekannt und die, und da war dies oder das.
    Während ich geschrieben habe, hat die Geschichte sich, wie das hin und wieder passiert, selbstständig gemacht. Sie sollte gar nicht rund werden, wie man gern sagt, das Unrunde war nicht das Problem, sondern dass die Person, deren Leben ich erzählen wollte, mehr und mehr in den Hintergrund geraten ist. Sie war wie ein Schatten, wie ein Phantom, während ich über die Leute schrieb, die ihr begegneten, die Kräfte, denen sie ausgesetzt war, sodass man am Ende alle möglichen Personen und Situationen beisammenhatte, ein Leben, durchaus, auch eine Chronologie, schon irgendwie, aber in der Mitte, im Zentrum, eine Leerstelle. In der Mitte war eben das Ich. In der Mitte könnte jeder sein.
    Durch Entpersonalisierung wurde die Hauptfigur zwar undeutlich, sie war im Grunde keine Hauptfigur mehr, gleichzeitig konnte ich die Hauptfigur dadurch aber exemplarischer erscheinen lassen, ein bisschen wie im epischen Theater. Ich fachsimpele. Ich hatte, wie gesagt, keine Ahnung, wie weit ich gekommen war, ob das trägt, aber das Problem, von dem
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