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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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ich spreche, also die Inkongruenz zwischen den Funktionieren der Erinnerung und dem Funktionieren des Geschichtenerzählens, dieses Problem ist so alt wie die Menschheit. Das heißt, auch ich werde keine Lösung finden, ich kann nur darauf hinweisen.
    Ich war an einem Punkt, an dem ich dachte, eine kleine Abwechslung kann nicht schaden. Du musst jetzt mal raus aus deinem Tunnel. Also habe ich die Einladung zur Buchmesse angenommen. Zwei, drei Termine, mehr war es in dem Jahr für mich nicht. Gespräche mit Leuten, die man lange nicht gesehen hat, ein oder zwei Partys, das gibt mir wieder einen Schub, habe ich gedacht. Das brauch ich jetzt.
    Zwei Tage vor der Messe kam die Mail von N., ob ich mich noch an sie erinnere, ob ich Lust hätte, sie zu treffen, sie sei auch in Frankfurt. Dazu die Handynummer.
    Klar, ich habe mich an N. erinnert. Ich habe drei Jahre lang für sie geschwärmt, wir waren in der gleichen Schulklasse. Ich hatte keine Chancen bei ihr, sie war auf der Schule ein oder zwei Jahre mit Benno zusammen, so einem typischen Arztsöhnchen, und dann wohl noch mit einem Tschechen, Doubek, den viele nicht mochten, ich fand ihn ganz sympathisch. Der hat damals mit Drogen gehandelt, später ist er, wie ich gehört habe, mit Kneipen reich geworden, jetzt dealt er in der Politik. Wegen seiner Vergangenheit muss er wahrscheinlich immer in der zweiten Reihe bleiben, schade, ein guter Mann. Ich war in unserer Klasse das Hautproblem aus der letzten Reihe.
    Auf der Messe war es schön. Ich saß beim Verlag, am Stand, jede Viertelstunde kommt ein Bekannter oder eine Bekannte vorbei. Wir haben uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht, was machst du so, arbeitest du an was, und dann weiter, der oder die Nächste. Mehr wollte ich gar nicht.
    Mit N. war ich um 17 Uhr verabredet, da ist die Messe schon fast zu Ende. Aber sie kam eine Stunde früher. Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt. Sie war dick geworden, besser gesagt, sie wirkte aufgeschwemmt. Sie sah fertig aus. In so einem Moment erschrickt man, weil man im Spiegel der anderen sieht, dass man selber auch älter geworden ist. Aber mit mir ist die Zeit etwas gnädiger umgegangen als mit N., das will ich zumindest hoffen.
    Natürlich habe ich mir nichts anmerken lassen. Das Wetter war super, wir haben uns draußen hingesetzt. Sie hat innerhalb von vierzig Minuten einen dreiviertel Liter Wein in sich reinlaufen lassen und fast ununterbrochen geredet.
    Was kriege ich noch zusammen? Sie war arbeitslos. Vorher war sie, ach, ich weiß es nicht mehr. Irgendwas beim Fernsehen. Aber in der Verwaltung. Früher hatte sie zwei, drei Moderationen, davon wusste ich nichts, ich sehe nicht fern. Sie versuchte zu schreiben. Sie hatte so einen Fernkurs belegt, für teuer Geld. Ich habe mich getraut, ihr zu sagen, dass sie ihr Geld mal lieber in neue Zähne investiert hätte. Ihre Zähne sahen aus wie das Holocaustmahnmal. Und sie erzählte Männergeschichten. Mit den Männern hat sie wohl kein Glück gehabt. Das ist bei den gut aussehenden Frauen nach meiner Erfahrung häufiger der Fall als bei den weniger gut aussehenden. Die denken, sie haben es leicht, sie müssen nur aussuchen und Bedingungen stellen. In Wirklichkeit ist es für sie genauso schwierig wie für alle anderen auch. Nur, sie wissen es nicht. Und natürlich sind immer die anderen schuld.
    Das nervt mich, nicht speziell bei N. oder bei Frauen, sondern generell. Alle sagen sie, ich hab’s schwer. Mein Chef, die Männer, die Regierung, die Verhältnisse, die bösen Menschen. Wenn es keine Menschen gäbe, wäre ich der liebe Gott. Eine Scheißhaltung.
    Gehen wir noch wo hin? Das hat sie gefragt. Eigentlich wollte ich nicht, war müde, aber, na ja. Ich hab sie zu einem Empfang mitgenommen.
    Bei dem Empfang war es dann eigentlich ganz nett. Ich habe N. als »Schulkameradin« vorgestellt, damit kein falscher Eindruck entsteht. Pinsky ist zu uns gestoßen, den kennen Sie sicher auch, ein Schleimer, ein schwacher Autor, aber unterhaltsam. Pinsky flirtete mit N., aber sie hatte es mehr mit mir. Die alten Zeiten. War doch schön. Ich habe nach Benno und Doubek gefragt. Mit Benno hatte sie keinen Kontakt mehr. Mit Doubek telefonierte sie hin und wieder. Kürzlich hätte sie aber Born wiedergetroffen, ob ich mich an den noch erinnere? Null Erinnerung. Born? N. war schon halb hinüber, sie lallte schon ein bisschen.
    Kürzlich hat sie ihn also wieder getroffen, in einer Berliner Bar, und es hat sofort wieder gefunkt. Nach
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