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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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von der realen Person. Gerster baute sich in seinem Kopf eine ideale Vorstellung aus dem besseren Teil seiner Erinnerungen, einen neuen, schönen Film über ihre Zeit, aus dem er alle dunklen Bilder und alle hässlichen Szenen herausschnitt und den er sich anschaute, wenn sein Schmerz wieder einmal aufwallte, ohne Hoffnung und ohne Bedauern. Nur zur Beruhigung.
    Einmal traf er sie tatsächlich. Es war bei einem Sommerfest, ungefähr zwei Jahre nach ihrer Trennung. Eigentlich war es beinahe schon Herbst. Am frühen Abend zogen Wolken über den Schwielowsee, ein Wind kräuselte die Papierservietten mit dem Senderlogo. Dass N. erscheinen würde, war nicht unwahrscheinlich.
    Gerster ging aus Trotz hin. Aus Trotz war er sogar mutterseelenallein übers Wochenende nach St. Moritz gefahren, wo er einen romantischen Kurzurlaub mit N. verbracht hatte, um sich selber zu beweisen, dass er imstande war, den Geistern der Vergangenheit tapfer ins Auge zu blicken.
    Ich lasse mir mein St. Moritz nicht verderben. St. Moritz bleibt mein.
    Das Erstaunen war groß, als er am Eingang auftauchte. Gerster trug Sandalen und ein kurzärmeliges Hemd, kein Jackett. Es war schließlich ein Gartenfest, oder? Immerhin hatte er lange Hosen an. Und er war noch relativ nüchtern.
    Röhricht schoss auf ihn zu, Gerster, wie geht es Ihnen, lassen Sie uns in den nächsten Wochen wieder einmal essen gehen, lassen Sie uns in aller Ruhe die Lage checken. Röhricht stand unter Druck, wegen des Todes von Grün. Der war eigentlich nicht zu ersetzen. Eines Morgens hatte Grün an einer Berliner Straßenkreuzung gesessen, an eine Laterne gelehnt wie ein Schlafender, mit geschlossenen Augen, lächelnd sogar, und die Passanten hatten Grün, den viele ganz sicher erkannten, in Ruhe gelassen, das ist eben Berlin, bis er, gegen zehn Uhr, langsam zusammensackte, auf die Straße rollte und einen Lastwagen zu einem völlig unnötigen Ausweichmanöver veranlasste, denn Grün war da schon seit Stunden einem Leiden erlegen, von dem keiner wusste, auch nicht er selber.
    Das Essen mit Röhricht würde wahrscheinlich auf den Vorschlag hinauslaufen, im Hintergrund als Berater mitzuwirken, Gerster, mit seiner unschätzbaren Erfahrung, mit seinem Riecher, mit seinen Instinkten, würde, falls er Lust dazu hatte, Texte schreiben dürfen für einen sympathischen, analphabetischen Jungmoderator.
    Die Band war erstaunlich gut. Sie spielten Jazzstandards, milden Spätsommerblues und ein paar erträgliche Popsongs. Man nickte Gerster zu, sagte Hallo, einige blieben stehen und wechselten ein paar Sätze mit ihm. Nur 500 Euro hatte die Band gekostet, die muss man sich merken, diese Jungs. Wussten Sie, dass Röhricht aus eigener Tasche für das Sommerfest aufkommt?
    Andere drehten sich elegant weg und vermieden ein Zusammentreffen.
    Gerster trank langsam und unterhielt sich ungefähr eine halbe Stunde lang mit den Leuten vom Catering, er wusste nicht einmal während des Gespräches, worüber.
    Als er gehen wollte, zufrieden über den Abend, alles in allem, kam N. Sie begleitete Jean-Jacques Néro, der kürzlich den Sprung von der Morgensendung in den frühen Abend geschafft hatte, ein Talent, ein Mann der Zukunft, hieß es. Gerster kannte seine Sendung nicht, was ging ihn die Zukunft an. Néro sollte eine neue Dating-Show moderieren. Die Person, die einen Partner sucht, sollte tatsächlich mit jedem der drei Kandidaten eine Nacht verbringen, das wurde natürlich nicht im Detail gezeigt, aber man sah das Drumherum und vom eigentlichen Akt ein paar Fotos, alles im Rahmen der Gesetze. Es würde die übliche Aufregung geben, die sich vorhersehen und gezielt anheizen ließ, und jeder würde sich die Show deshalb erst einmal ansehen. Ob sich das dauerhaft hielt, hing letzten Endes, wie immer, von der Qualität des Moderators und dem Unterhaltungswert der Kandidaten ab. Néro war ein lockiger, sehr gut aussehender Typ, also, mit so einem Moderator würden sie die Show jedenfalls nicht ironisch anlegen.
    Auf keinen Fall wollte Gerster in diesem Moment allein in der Menge stehen oder allein das Fest verlassen. Er fing ein Gespräch mit einer ihm flüchtig bekannten Tonfrau an, die gerade mit vollem Teller vom Büffet kam und eigentlich zurückwollte zu der Gruppe, mit der sie vorher geredet hatte. Aber den üblichen Scheiß konnte sie schließlich genauso gut mit Gerster reden.
    Herr Gerster, hallo, ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich erkennen. Das ging so hin und her. Nach zwei Minuten hatte
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