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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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knülle, juristisch gesehen ist so etwas vermutlich halb so wild. Nicht dass ich glauben würde, dass so was in Ordnung ist. Verstehen Sie mich nicht falsch.
    Pinsky wollte, dass ich mitmache. Habe ich nicht. Das Ganze hat mich aber schon angetörnt. Die arrogante, kluge, schöne N., und nun Pinsky, dieses Ekelpaket, sic transit gloria mundi. Gut, ich bin ehrlich. Ich habe mir beim Zuschauen einen runtergeholt. Sie hat schließlich nichts davon gemerkt.
    Es hat ewig gedauert bei Pinsky. Der wurde gar nicht fertig. Nach einer Weile ist N. wieder ein bisschen zu sich gekommen. Pinsky hat einen Whisky aus der Minibar geholt und bei ihr eingefüllt, danach war sie wieder ruhig.
    Ich fand das widerlich, aber ich wollte auch nicht weggehen. Wer weiß, was er sonst noch alles mit ihr angestellt hätte. Ich dachte, meine Anwesenheit gibt ihr eine gewisse Sicherheit, ich bin die Garantie dafür, dass nichts wirklich Schlimmes passiert. Das Zuschauen wurde mir aber langweilig nach einer gewissen Zeit. Pinsky ist als Rammler genauso öde wie als Autor. Ich habe den Fernseher angestellt und einen alten Spielfilm angeschaut. Dabei bin ich eingeschlafen.
    Als ich aufwachte, sind beide weg gewesen. Fragen Sie nicht, wie das Zimmer aussah. Jemand hatte im Bad gekotzt, das habe ich weggewischt und bin dankbar gewesen, weil es wenigstens das Bad gewesen ist und mir der Stress mit dem Hotelteppich erspart geblieben ist.
    Und raten Sie mal, wer die Minibarrechnung bezahlt hat.
    Von N. habe ich seitdem nichts mehr gehört. Es standen ein paar ältere Sachen über sie im Internet, seit Jahren nichts Neues mehr. Pinsky habe ich bei der nächsten Buchmesse wíedergesehen, aber nur von fern. Er hat mir von Weitem verlegen zugewunken. Der meidet mich seitdem.
    Das hat mir alles ganz schön zu schaffen gemacht. Das war nicht einfach für mich. Eine Grenzerfahrung. Ich konnte mich wochenlang nicht auf das Buchprojekt konzentrieren, an dem ich damals gesessen habe. Ich habe viele Wochen verloren, und das verdanke ich Pinsky.
    Sie hatten noch eine zweite Frage gestellt. Die Antwort will ich Ihnen nicht schuldig bleiben.
    Liebe ist, nach meiner Definition, eine extrem strapazierbare Verbindung zwischen zwei Menschen. Sein Kind liebt man, im Regelfall, auch wenn es zum Mörder wird. Sie können jemanden sehr kritisch sehen, und diese Person trotzdem lieben. Sie werden, wenn es darauf ankommt, für diese Person da sein. Sie können nicht anders. Notfalls machen Sie sich zum Deppen. Liebe bedeutet, dass ihre emotionale Beziehung zu einer Person nahezu unabhängig ist vom Verhalten dieser Person. Wenn jemand Sie so richtig mies behandelt, und Sie freuen sich trotzdem, wenn Sie diese Person sehen, dann ist es Liebe. Halten Sie sich davon fern, falls Sie können.

23
     
    Gleich nach der Landung standen die meisten Passagiere von ihren Sitzen auf. Das Flugzeug rollte langsam aus. Obwohl die Stewardess es ihnen verboten hatte, versuchten die Passagiere, das Handgepäck aus den Fächern über ihren Köpfen herauszuholen.
    N. und Lamin blieben sitzen. Ihre Köpfe berührten sich. Die Armstütze zwischen ihren beiden Sitzen war hochgeklappt.
    Lamin schaute aus dem Fenster. Er sah Nebelschleier, Tropfen am Fenster, in der Ferne zeichneten sich die Gebäude des Flughafens ab. Er war in Europa.
    Im Gang des Flugzeuges standen Männer, Frauen und Kinder, dicht an dicht, in sehr hellem Licht. Sie hatten müde Gesichter, über ihren Schultern hingen Taschen, in ihren Händen trugen sie kleine Reisekoffer. Wenn sie sich bewegten, stießen sie aneinander. Also bewegten sie sich möglichst wenig. Inzwischen war laute Musik zu hören. Lamin kannte den Song, »Get down on it« von Kool and the Gang. Die Menschen im Gang des Flugzeuges erinnerten ihn an eine Herde, Ziegen vielleicht, die sich bei Regen unter einem Baum zusammendrängen.
    Ein alter Freund von N. hatte ihnen geholfen, all diese Papiere und Genehmigungen zu bekommen, die sie brauchten, ein Mann, der Doubek hieß. Doubek war Minister oder etwas Ähnliches wie Minister.
    Was immer kommen würde, Lamin fühlte sich stark. Er hielt sich für einen optimistischen Menschen. Als Junge war er gläubig gewesen, inzwischen war sein Glaube schwächer geworden, wie eine Welle, die sanft ausläuft. Aber aus seiner Jugend, die ihm heute so fern und von Dunst umgeben schien wie das Flugplatzgebäude da draußen, hatte er die Überzeugung bewahrt, dass auch das Unmögliche geschehen kann. Jederzeit kann alles geschehen,
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