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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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sichtbaren, oder wenigstens unserm Auge sichtbaren Welt kund zu geben, von dem sie sich aber gern und freudig trennt, sobald es ihr möglich ist, um andere Gestalten zu begrüßen, und einem anderen Leben entgegenzueilen. Ist die Seele so vielemal vertieft, als sie Existenzen durchgemacht und den Tod überwunden hat? Ist die Seele je nach dem Zustand tiefer, in welchem sie sich vor ihrer Inkarnation befunden hat? Das entzieht sich unserer Beobachtungsmöglichkeit, und nur ahnend folgen wir den Entschlummernden, nur tastend fragen wir uns in das zu erziehende Kind hinein, und lassen uns fast von ihm leiten, in der Art, wie seine Seele behandelt sein will, diese Seele, die wir für jung halten, weil ihr die irdische Ausdrucksweise noch fremd und neu ist, beider wir aber sehr bald ganz bestimmte Eigenschaften entdecken, welche den Menschen durch sein ganzes Leben in höchst charakteristischer Weise begleiten. Es hat sich noch nie ein scharf und liebevoll beobachteter Mensch verändert, wenigstens nicht insofern man ihn zu studieren die genügende Gelegenheit gehabt hat. Denn in anderen Lagen erscheint sein Leben in anderem Lichte, ohne deshalb sich verändert zu haben. Manchmal kommt in bewußtlosem Zustande, in schwerer Krankheit, etwas zum Vorschein das wieder verschwindet, sobald der Mensch wieder in die frühere Lage gebracht worden ist. Wenn man sich in seine früheste Kindheit zurückversetzt, und manche haben eine deutliche Erinnerung vom zweiten Jahre an, und manchmal noch früher, so wird man sich sagen, daß man stets derselbe war, mit denselben Empfindungen, und daß die äußere Welt in ähnlicher Weise dasselbe Gehirn oder dieselbe Seele beeinflußte. In einer Familie erscheinen Geschwister, die nicht den geringsten Zug miteinander gemein haben, die auch gar kein Verständnis für einander haben, als kämen sie wirklich aus verschiedenen Welten, und hätten einer des anderen Sprache nie vernommen.
    Wenn die Seele nur aus Gehirnstoff erbaut wäre, so müßten Geschwister einander ähnlich sehen, da sie ihr Gehirn aus demselben Material gebaut haben, einer wie der andere. Man spricht dann von fernen Erbschaften verschiedener Gehirnzellen aus vergangenen Geschlechtern. Das wäre dann der einzige gültige Adelsbrief, den man mitbekommen, der aber schwer zu entziffern ist, zumal da die folgenden Geschlechter die früheren meist vergessen haben, und sich nur zufällig Züge ihres Wesens erhalten haben. Wer weiß, ob es der sich zu inkarnierenden Seele nicht gestattet ist, sich das Elternpaar und das Geschlecht auszusuchen, aus dessen Stoff sie glaubt, eine gute Behausung bauen zu können. Denn man sieht, daß Erziehung auch nur einen ganz äußerlichen Einfluß hat, die Seele aber in keiner Weise modelliert. Erziehung heißt, sich in der umgebenden Welt zurechtfinden, und die Freiheiten seiner Nebenmenschen in keiner Weise beeinträchtigen. Inwieweit dies aber gelingt, hängt lediglich von der Natur eines jeden ab, ob er egoistisch oder altruistisch angelegt ist.
    Es ist auch möglich, daß frühere Existenzen eine Art von Selbstverurteilung herbeiführen,unter ungünstigen Umständen wiedergeboren zu werden, oder gar gezwungen zu sein, das Böse zu tun, ein Dämon zu sein auf der Erde, bis auf diese Weise ein anderes Dasein erfüllt oder gebüßt ist. Umgekehrt muß es auch vorkommen, daß die Seele die Verhältnisse, die sie versucht, ungünstig findet und den Körper wieder verläßt, um sich einen besseren zu suchen. Das heißt für die Menschen dann frühes Sterben. Vielleicht sind Sie selbst an dem frühen Sterben schuld, weil Sie der Seele nicht die körperliche und geistige Nahrung zugeführt haben, deren sie bedurfte. Wir tasten in Dunkelheiten, die wir vielleicht nicht einmal erhellen sollen. Darwin sagte bescheiden und demütig: »Vielleicht stammen wir aus demselben Uranfang?« und seine Schüler erhoben diese Anfrage zur Lehre und schworen dabei, bis sie sahen, daß sie nicht weiter führt. Fichte sprach vom Ich, Schopenhauer vom Willen, Kant von der Vernunft, Büchner von der Kraft, aber warum dachten Sie nicht an das Alte?
    Warum unsere Identität fortbeweisen wollen, wenn die allergrößten Philosophen der Welt, die Inder, schon so lange den Weg gezeigt hatten, die unerklärlichenVerschiedenheiten von Seele und Leib zu erklären. Sie bewiesen in der vollkommenen Extase, auf ein wie geringes Maß von Existenz man den Körper reduzieren kann, ohne an Denkkraft einzubüßen, sondern im Gegenteil, die
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