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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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Dasein nicht das alles schon gewesen sind, oder in einem kommenden wieder werden, was die andern sind? Wie mancher muß schon in diesem Leben Steine Klopfen, weil er sein Gut vertan hat, und zu nichts zu brauchen ist, was andre leisten können. Vielleicht geht es so mit denverschiedenen Existenzen, die wir durchlaufen. In der einen müssen wir hungern, in der andern müssen wir Erfinder sein, in der dritten auf des Gebens Höhen stehen, wenn wir reif genug sind, um den andern so zu dienen.
    Angst! Aber wenn wir wüßten, was wir schon alles gewesen sind, und noch werden müssen, wie würde die Angst steigen! Vielleicht waren wir einmal Verbrecher! Vielleicht würde sich die Menschheit entsetzt von uns abkehren, wenn sie sehen könnte, was dieselbe Seele schon alles getan hat! Vielleicht ist die Angst, die unsere stete Begleiterin ist, die erste von früheren Fehlern, die wir noch immer sühnen müssen. Viele wollen es sich nicht eingestehen, daß sie schon auf der Erde alles sühnen müssen, jedes unbedachte Wort, jede selbstsüchtige Handlung, jede Tat, die der Menschheit in ihrem Fortschritt Schaden bringt. Oder ist es das dunkle Gefühl, daß die Sühne unser harrt, die uns die Angst ins Herz jagt?
    Sie ist heilbar, diese Angst, durch einfältigen Kinderglauben. Aber heutzutage ist der Kinderglaube außer Kurs gesetzt, und man hat die Wissenschaft dafür herbeigeholt, und merkt nicht, daß die Wissenschaft in einemJahrhundert solche Schwankungen erleidet, daß heute falsch ist, was gestern wahr war. Wie soll man aus der Wissenschaft eine Religion machen? Das Christentum gilt für verbraucht. Aber so lange noch kein einziger Mensch der Bergpredigt nachgelebt hat, ist das Christentum noch nicht einmal erreicht, geschweige denn veraltet.
    Wenn nicht in der ganzen Natur die Angst wohnte, so würden wir berechtigt sein, uns für etwas außergewöhnlich Schlechtes und Nichtswürdiges zu halten, aber nun sehen wir die Unschuldigen ebenso davon heimgesucht, wie wir es sind, und das mitten in der herrlichsten Natur, die ihre Gaben ausschüttet, und alle Augen erfreuen will. Eine Hölle brauchte dennoch die Erde nicht zu sein und ist es für so sehr viele, ja vielleicht für die meisten. Denn selbst, wenn die Angst vorüber ist, läßt Sie unverlöschbare Spuren zurück, in der Seele wie am Leibe: sie geht wie ein verheerendes Feuer über die Menschen und verbrennt sie bis ins Mark. Die Narben davon schmerzen immer wieder, und eine Kleinigkeit reiht sie auf, als wären sie nie geheilt.
    Ein Gethsemane wartet auf jeden, nur erzählt er es nicht, wenn er es durchlitten hat.Manchmal kann man es an seinem Mitleid mit jedem andern erkennen, daß es über einen Menschen hingegangen ist, manchmal auch am scheuen und scheinbar harten Abschließen gegen die ganze Welt. Angst wirkt so verschieden auf jede Natur. Du aber, Seele, wenn du in dem Fegefeuer der Angst stehst, so halte still, und wolle nicht der Qual ein Ende machen. Sie hat ein Ende, sei nur vertrauensvoll! Angst ist ebensowenig ewig, wie alle andern Erdenerlebnisse. Sie erscheint uns nur ewig, gleichwie Körperschmerzen, auch wie Not jeder Art. Die Freude ist kurz, wie lange sie auch gedauert hat.
     

Über die Seele
    Warum sagt man: »In der Tiefe der Seele?« Ist die Seele denn tief? Ist die Seele ein Brunnen oder eine Quelle oder ein Abgrund oder ein Sumpf oder eine Nacht oder ein Himmel, in dessen Fernen man auch nicht hineinblicken kann. Was ist die Seele? Ist sie lichtgeboren? Ist sie nur das Ergebnis von dem Gehirn und seinen Kammern? Und vergeht sie in tausend neue Kombinationen wie das Gehirn nach dem Tode?
    Die Seelentiefe? Was macht, daß in allen Religionen der Erde etwas angenommen wird, das man Seele nennen dürfte, je nach dem Grade der Zivilisation? Keine läßt dem Körper mehr Rechte, als die einer zeitweiligen Behausung. Hat es die Menschheit gefühlt, daß etwas ganz anderes in ihrem Inneren wohnt, als was zu Tage tritt, oder hat dieses Zutagetreten sie erschreckt oder auch erfreut?
    Jeder Märtyrer und jeder hohe Denker hatden Beweis geliefert, daß die Seele vom Körper trennbar ist, und erhaben ist über die Leiden und Schmerzen desselben. Ja man kann sagen, daß oftmals, je mehr der Körper zerstört wurde, um so erhabener die Seele darüber zu stehen schien, als ob sie bereits keinen Teil mehr habe an dem zerfallenden Gehäuse. Also muß die Seele eine Kraft besitzen, die vom Körper unabhängig ist und des Körpers nur bedarf, um sich der
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