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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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vollkommner Bewußtlosigkeit daliegen, während die Seele ganze Erlebnisse durchwandelt, und in so unglaublicher Schnelle, daß sie beim sogenannten Erwachen nicht begreift, so wenig geschlafen zu haben, und ein Buch mit ihren Erlebnissen füllen könnte. Der Graf Keyserling beschäftigte sich viel mit der Traumseele, aber er kam nicht auf den Gedanken, daß unsere Träume nur das Spiegelbild von dem sind, was die Seele im freien Zustande erlebt, und wovon das schlummernde Gehirn soviel erzählt, als ein Kind lallen würde, das ein wirklicheres Erdenerlebnis schildern wollte und dem dazu Worte und Bilder, ja Begriffe fehlen. Wissen wir, was die Seele tut, während wir schlafen?
    Vielleicht ist sie viel beschäftigter als im wachenden Zustande des Körpers und hat Aufgaben, vor denen wir staunen würden, könnten wir sie anders erkennen als im undeutlichen Spiegelbild und manchmal gar nicht. Wir haben auch ganz gewiß viel größere Voraussicht als wir es uns zum Bewußtseinbringen, und im Traume erkennen wir vieles, das wir gern dem wachenden Menschen mitteilen möchten, um ihn zu warnen, das er aber nicht recht versteht, weil er die Bildersprache, zu der seine Seele gezwungen ist, um sich überhaupt verständlich zu machen, noch nicht zu entziffern gelernt hat. Wenn wir aufmerksamer schlafen würden, so würde uns manches zum Bewußtsein kommen, das uns jetzt wie ein Märchen oder Rätsel erscheint oder als leeres Hirngewebe. Kann man sich aber in einer Welt, in der alles in einander greift, und alles zweckmäßig ist, vorstellen, daß ein Wesen stundenlang jeden Tag vollkommen unnütz sein soll? Sogar die Tierseele scheint im Schlafe weiterzuarbeiten, denn wir sehen deutlich die Träume, die sie dem Tiergehirn vorspiegelt, geringste Träume haben oft nicht die geringste Verbindung mit dem bewußt Erlebten, mit unsern Gedanken, Wünschen und Erinnerungen. Wir durchwandern eine Welt, die uns vollkommen fremd ist, und die vielleicht mehr Erinnerungen enthält, als wir es ahnen.
    Wer schickte Columbus nach Amerika? Er war nicht besonders gelehrt, er hätte schwer beweisen können, daß dort Welten sein müßten,wo die Welt aufhörte, und daß die Erde eine Kugel ist, und die Sterne singen in ihrem Laufe, was doch Pythagoras versicherte, gehört zu haben. Es ist eine üble Gewohnheit der Menschen, einander ihre verschiedenen Erfahrungen und Erlebnisse nicht zu glauben. Die Menschheit würde sicher viel schneller vorwärts kommen, da Vorwärtskommen ihr Bestreben ist, wenn sie von einander annehmen und lernen wollte, und nicht die Zeit mit Zweifeln an einander verlöre. Aber alle sind nur zu bereit, zu sagen: »Ich sah das nie, also ist es nicht vorbanden.« Aber welcher Mensch hätte Gehirn genug, um alle Erfahrungen der andern wieder zu erfahren? Dazu ist der Raum zu klein, in den er gesperrt ist. In einfacheren Zeiten verstanden die Menschen ihre Traumseele besser und folgten ihrem Rat, weil ihnen eine Ahnung sagte, daß die Traumseele weiter schaue, als die vom Körper befangene. Das Freisein vom Körper gab ihrem Gefühl nach größere Einsicht und besseres Erkennen, sie konnten ihre Träume selten Verdauungsbeschwerden zuschreiben, da sie der Schlemmerei nicht ergeben waren und oft nicht satt zu essen hatten. Das viele Essen macht die Seelesehr zur Sklavin, sie kann nicht so frei denken; daher die Idee des Fastens. Wie wären die Menschen aufs Fasten verfallen, wenn sie nicht entdeckt hätten, daß Enthaltsamkeit im Essen eine außerordentliche Klarheit und Denkkraft verleiht. Wenn aber das Gehirn allein denken würde, so könnte man es garnicht stark genug ernähren, um es besser denken zu machen. Ganz im Gegenteil gibt das Fasten eine leuchtende Kraft, die viel größere Dinge auf geistigem Gebiet leistet, als man berechnen kann. Es ist ein großes Unglück für die Menschheit, daß das Essen eine so große Rolle spielt. Erstens macht es viele unglücklich, die auch gern essen möchten und es nicht können, weil es zu teuer ist, und zweitens raubt das Essen vielen die hochgeistige Vollkommenheit, nach der sie streben dürften. Man sollte die Kinder von früh an gewöhnen, asketisch zu leben, so einfach, daß ihnen die Lust am Essen für später kein Hindernis ist, und sie gern so einfach weiter leben. Man sollte es ihnen als die größte Demütigung hinstellen, vom Gaumen beherrscht zu sein und des Gaumens halber krank zu werden. Eine Indigestion sollte mit der größten Härte und Verachtung bestraftwerden, fast
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