Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
Vom Netzwerk:
es gut mit ihm meinst. Womit hast du denn dieses Vertrauen verdient? Was hast du getan, damit Vogel und Reh, Schmetterling und Eidechse dirvertrauen? Denn selbst die Haustiere sind alle dem Tode verfallen, du nährst sie nur für dich, nicht zu ihrem Wohl. Und dann willst du allein das Gefühl der Angst nicht kennen? Hast du das verdient? Du würdest nicht so arm sein, als du es bist, wenn du dich von dem ernähren wolltest, was dir entgegen wächst, und das nicht leidet, sondern reift und fällt, selbst ohne dein Zutun. Du aber mußt Leben abschneiden und gar noch unschuldige Wesen quälen und verfolgen, und trauerst nicht, daß alles Getier von dir flieht als vor seinem grausamsten Feinde?
    Und du willst kein Auge haben? Du mußt es bezahlen, was du leiden machst. Du hast Angst vor dem Messer, das dich heilen will, und läßt Tiere die gesund sind, in Stücke schneiden, auf daß man dadurch dein elendes Leben verlängere? Die Angst vor dem Tode ist wiederum rein körperlich, denn die Seele wünscht sich oftmals die Befreiung, wenn der Körper sich oftmals vor dem Sterben graust. Ist dir das nicht ganz klar, Seele, daß es nur der Körper ist, dem die zeitweilige Vernichtung nicht gefällt? Er hat ja sein eigenes, starkes Leben und will nicht in den Tod, bei dir nichtund bei keinem einzigen Tiere, du aber, Seele, weißt sehr wohl, daß du dir den Tod wünschest, um aus der engen Behausung herauszukommen, und den unendlichen Raum zu kennen, der dich so nahe umgibt, und der dir so fremd bleiben muß, bis du frei wirst. Dein Körper hat Angst vor Hunger und Kälte, nicht du, Seele; du fühlst weder Hunger noch Kälte, es genügt hierfür, daß ein Gedanke dich ganz befangen hält.
    Angst macht dich oftmals töricht, so töricht, daß du das Verkehrte, ja das Unerhörte tust, nur weil du Angst gehabt und dein Urteil hast trüben lassen. Angst vor Menschen, ist das nicht ein nichtswürdiges Gefühl? Und doch treibt es in alle denkbaren Handlungen hinein, in Reden die man gedacht, in einem Gesichtsausdruck, der dem wahren Gefühl widerspricht. Angst entwürdigt dich so sehr, daß sie dich sogar zum allerelendesten Menschen, zum Lügner machen kann. Seele! Unwahr brauchst du doch nicht zu sein! Ein Christ, der sich von wilden Tieren zerreißen ließ, machte Hunderte zu Christen: ein beherztes Wort von dir würde vielen helfen, Mut zu haben, und sich zur Wahrheit, oder zu dem, was sie dafür halten, zu bekennen, Wir müssen uns oftmals mit dem Spiegelbildder Wahrheit begnügen, und dieses verteidigen wie ein heiliges Symbol, da uns die wirkliche Wahrheit verhüllt bleibt, bis wir sie ertragen können. Wenn wir die Erde gegen einen Angriff von außen verteidigen müßten, würden wir plötzlich alle Brüder sein, da gäbe es keine Grenze mehr und keinen Erbfeind, und keinen Hader, ja man würde vergessen, worüber man eben noch Krieg führte, und es ganz unbegreiflich finden, daß man entzweit sein konnte; so notwendig würden alle allen sein, in dem Kampf um die Erde gegen einen auswärtigen Feind. Es brauchte nur ein Stern sehr bedrohlich nahe zu kommen, und in der Angst vor Vernichtung wären alle Menschen Brüder. Einsam getragene Angst macht zum Einsiedler vielleicht für alle Zeit. Gemeinsam getragene Angst schließt alle Herzen zusammen mit einem oft unzerreißbaren Bande.
    Da Märchen und Legenden meistens so sehr viel wahrer sind als sogenannte Geschichte, so ist vielleicht die Bibellegende von einem Paradiese viel wahrer als wir in unserer dunklen Schulweisheit es jetzt noch glauben wollen.
    Vielleicht hat es in einer Zeit solch ein seliges Erdenland gegeben, und nur als dieAngst erschien, da war es vorbei, da wurde eine Art von Hölle daraus. Aber das Bewußtsein einer Himmelsmöglichkeit blieb in den Menschen zurück, und nun suchen sie auf jede Weile diesem seligen Zustande nahe zu kommen, gar mit Mord und Totschlag, da sie meinen, einer steh dem andern im Wege zu dieser Glückseligkeit. Die unten stehen, haben Angst vor den Großen und Reichen und meinen, die nehmen ihnen den Himmel weg, und die oben stehen, haben Angst, ermordet zu werden, und so fürchten sich die einen vor den andern, anstatt sich gegenseitig zu helfen soviel es in aller Kräfte steht. Wenn man einsehen würde, daß der eine mehr Hände-, der andre mehr Gehirnarbeit verrichten soll, so würde man nicht so gierig einer auf den andern blicken, sondern mit dem zufrieden sein, was das Los bestimmt hat.
    Wissen wir denn, ob wir in einem früheren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher