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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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und deine Seele ist nicht so betrübt wie dein Leib, der vielleicht darben wird, weil der Ernährer fehlt, und du hast ihn nicht lieb genug, um zu begreifen, daß das Erdenleben für ihn vollendet war. Du hast vielleicht nie daran gedacht, daß du allein auf der Erde zurückbleiben müßtest. Aber nun bist du allein, wenigstens fühlst du dich allein, da du nicht sehen kannst, was dich umgibt. Der Eltern Gräber haben sich geschlossen, und niemand hat dich selbstlos lieb, niemand, nicht Mann, nicht Kind, nicht Bruder, nicht Freund, niemand, und du weinst. Aberselbstlos lieb haben dich viele, die du nicht siehst, viele, die dich umschweben, viele, die dir als Hüter bestimmt sind, bis du selbst andere wieder beschützen sollst. Kennst du das ungeheure Ineinandergreifen der Welten? Gott hat dich verlassen? O du kindische Seele! Weißt du denn, wozu Gott dich berufen hat? Müde! Du brauchst ja gar nicht zu wissen, wann du müde bist. Das wissen die andern viel besser als du, die dir zu Wächtern bestimmt sind und dich abrufen, wenn die Stunde der Müdigkeit für dich geschlagen hat. Warum denn in den Abgrund hinunterblicken? Der Himmel ist ebenso nahe, und das Auge voll Licht, das hineinsieht. Warum es willkürlich in Schatten hüllen? Hast du nicht gesehen, daß die Gott vertrauen, auch immer Hilfe erfahren? Es ist deine eigene Ungläubigkeit, die dich in den Abgrund stürzt. Du brauchtest nicht hinunterzublicken, es zwang dich nichts dazu.

     
     

Angst
    Wenn es eine Hölle geben kann, so ist sie ganz gewiß nur eine Zeit namenloser Angst. Denn es gibt wohl nichts Furchtbareres als Angst. Die Schmerzen des Leibes und der Seele reichen nicht an das Gefühl wahnwitziger Angst hinan, welche die Glieder lähmt, das Wort in Eis verwandelt, das Herz in einen Krater, in dem es pocht und siedet Tag und Nacht. Die Höllengeborenen, welche die Angst erfanden, wußten, daß diese dem Menschen die Sinne und Gedanken raubt. Und dennoch haben Unzählige diesem Entsetzen widerstanden und sind für einen einzigen Gedanken, für eine einzige Überzeugung durch die Qual hindurchgegangen in den Tod, der wie ein Balsam ihre erlöschenden Kräfte umfing. Ein Gedanke trug diese Menschen dem Himmel zu, während ihre Henker in der Hölle verweilten, darum, wenn die Angst, o Seele, dich umnachtet, so ist es nur darum,weil du zweifelst, weil deine Überzeugung schwankt, weil du nicht den Glauben hast, daß höchste Weisheit dich erleuchtet, und wenn sich die ganze Welt wider dich kehrt. Du hast schon Angst vor der Leute Geschwätz, schon diese Kleinigkeit ist dir so unerträglich, daß du lieber dem Moloch dieser Leute opferst, als dich freudig zu deiner Überzeugung zu bekennen. Das macht, weil das Christentum die Throne bestiegen hat und in goldenen Gewändern einhergeht, anstatt verfolgt und verhöhnt und gemartert zu sein. Damals zweifelte keiner, und alle gingen in den Tod. Der Zweifel ist die Ausgeburt des Wohllebens und der Erschlaffung. Wer leidet, der zweifelt nicht, im Gegenteil, er wird nur immer bestärkt in seinem Glauben. Du aber bist in der Verweichlichung groß geworden, in dem bequemen Weihrauch der Kirche, der dich einhüllt und keinen Kampf mehr von dir fordert, und da trifft dich das Ungemach mit seiner Folter, Angst, wie etwas Unbekanntes, Entsetzliches.
    Angst ist entsetzlich. Sie hat hundert Köpfe und tausend Krallen, sie hat gar kein Antlitz, und gar keine Gestalt, das macht sie so furchtbar. Die heilige Vehm nahm Masken vor,um furchtbarer zu sein. Dasselbe tut die Angst. Sie hat kein erkennbares Aussehen, sondern legt sich dir auf Herz und Glieder und raubt dir den Verstand. Das aber ist wiederum der Körper, der dich also schwach macht, denn du weißt, daß du dasselbe denkst wie zuvor. Die Angst an einem Totenbette ist schlimmer als der Tod, die Angst vor einem vernichtenden Gespräche schrecklicher als das Gespräch, das mit einem Menschen stattfindet, der nur eine kurze Zeit über dich Gewalt bekommen hat und dich nicht ewig foltern kann.
    Die Angst, Unrecht getan zu haben, die Angst vor der Tat, die du für recht hältst, und von der du doch nicht gewiß weißt ob sie zum Guten führt, die Angst, ein Wort gesprochen zu haben, das einem andern Schaden bringt, – aber siehst du nicht, daß die ganze Natur Angst hat? Vor dir, dem Räuber, der alles Lebendige verzehrt, fürchten sich alle, und dein Entzücken ist grenzenlos, wenn eins dieser bangen, mißtrauischen Wesen sich an dich anschmiegt und glaubt, daß du
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