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Gefeuert

Titel: Gefeuert
Autoren: Julia Berger
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Drama, keine bohrenden Nachfragen. Für mich ist das die beste Reaktion, die ich im Moment bekommen kann. Mit dieser nüchternen Feststellung kann ich umgehen, ohne das Gefühl zu haben, mich rechtfertigen oder Stärke und Optimismus demonstrieren zu müssen.
    Auch mein Bruder bekommt die Wirtschaftskrise zu spüren. Er arbeitet in der Metallindustrie, die von der Krise hart getroffen ist. In seinem Unternehmen gibt es Kurzarbeit. Er muss mit weniger Geld zurechtkommen und mit der Sorge, wie es nach der Kurzarbeit weitergeht. Wird es sein Arbeitgeber durch die Krise schaffen oder drohen am Ende doch Kündigungen? Genau das erwarten Arbeitsmarktexperten für kommendes Jahr. Die Kurzarbeit, so der allgemeine Tenor, hilft zunächst, Entlassungen zu vermeiden. Aber wenn die Wirtschaft nicht schnell genug in Fahrt kommt, werden die Unternehmen über kurz oder lang doch Leute rausschmeißen.
    Ich nehme mir seine Ruhe zum Vorbild und habe fest vor, die Aufregung, die immer wieder hochsteigt, nicht überhandnehmen zu lassen. Wir wissen in diesem Moment beide noch nicht, wie sehr wir bald die Nerven werden bewahren müssen.

    Die Dinge gehen unerbittlich ihren Gang. Am nächsten Tag kommt mit der Post ein Brief vom Gewerbeaufsichtsamt. Ich bin Gegenstand eines »Ermittlungsverfahrens« und soll in einem Formular Stellung zu den Kündigungsabsichten meines Arbeitgebers nehmen. Das Amt wird dann entscheiden, ob die Kündigung in meiner Elternzeit zulässig ist. Ich soll unter anderem ein Kreuzchen machen bei der Frage »Sind Sie gegen die Kündigung – ja oder nein«. Das klingt leicht – natürlich werde ich widersprechen –, aber ich vermute heimliche Fallstricke.
    Dieses Schreiben ist meine Hoffnung. Ich setze darauf, dass das Amt die Kündigung verbieten wird. Damit wäre das Themagegessen. Ich könnte meinen Job behalten, das ist das Beste, was ich mir im Moment vorstellen kann. Damit ich mit dem Formular ja nichts falsch mache, rufe ich wieder bei meiner Rechtsberatung an.
    Diesmal habe ich eine Anwältin in der Leitung. Ich lege auch ihr meinen Fall dar und frage, ob ich mit dem Formular vorbeikommen kann.
    »Sie können es uns auch faxen«, ist die Antwort.
    Nein, diesmal lasse ich mich nicht so schnell abwimmeln. Für mich geht es hier um viel. Ich will jetzt eine Auskunft und eine Beratung und gefälligst Unterstützung in meiner Hoffnung, dass alles schon nicht so schlimm werden wird.
    »Ich komme lieber vorbei und bringe gleich meinen Arbeitsvertrag mit«, insistiere ich – und ergattere tatsächlich kurzfristig einen Termin.
    Die paar Stunden bis dahin reichen mir, um meinen aktuellen Arbeitsvertrag und weitere Unterlagen zu kopieren, die ich für die Lösung meines »Falls« für relevant halte. Es sind vor allem mehrere Arbeitsverträge mit unterschiedlichen Tochterfirmen und Schreiben zu Betriebsübergängen.
    Mein Arbeitgeber hatte bereits vor Jahren begonnen, sich in einzelne GmbHs aufzusplitten und damit seine Beschäftigten in verschiedene Klassen aufzuteilen. Beschäftigte der ersten Klasse hatten Tarifverträge mit regelmäßigen Einkommenssteigerungen, geringeren Arbeitszeiten, mehr Urlaubstagen und höherer Jobsicherheit. Beschäftigte zweiter Klasse waren in allerlei Tochterfirmen beschäftigt, in denen keine Tarifvereinbarungen galten. Sie verdienten in der Regel deutlich weniger, hofften (völlig realitätsfern), irgendwann einmal in die erste Klasse wechseln zu können, und setzten darauf, dass bis dahin schon alles gut gehen würde.
    Ich war inzwischen eine Beschäftigte zweiter Klasse. Mit jeder neuen Aufgabe, die ich im Konzern im Laufe der Jahre übernommen habe, bin ich in ein anderes Tochterunternehmen gewechselt. Der Konzern hat, sobald er ein weiteres Geschäftsfeld erschloss, eine Firma nach der anderen gegründet.Die Arbeitsbedingungen haben sich dabei von Mal zu Mal verschlechtert. Das Einzige, was sich für mich rechtlich bei all den Wechseln verbesserte, war die Kündigungsfrist. Damit war ich eine Ausnahme unter den Kollegen. Einige konnten zum Monatsende rausgeschmissen werden, bei mir waren es am Schluss sechs Monate. Ich hielt das fälschlicherweise immer für ein gutes Zeichen und interpretierte es so, dass der Konzern Interesse an meiner Mitarbeit hatte. Und jetzt wurde einfach die Tochterfirma, bei der ich angestellt war, geschlossen.
    Ich schleppe also einen beachtlichen Packen Papier mit mir, als ich beim Berufsverband ankomme. Froh, endlich etwas tun zu können, bin ich
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