Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefeuert

Titel: Gefeuert
Autoren: Julia Berger
Vom Netzwerk:
ablehnt oder nicht zu einem Bewerbungstermin erscheint. Die Kollegen haben mich vorgewarnt: Der Verdacht, man suche eigentlich gar keine Arbeit, sondern wolle auf Kosten der anderen Beitragszahler faulenzen, würde den ganzen Kontakt mit der Agentur unterschwellig bestimmen.
    Als sich nach einer Telefonroboterschleife endlich eine Mitarbeiterin meldet, sage ich mein Sprüchlein auf. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Worte einmal werde aussprechen müssen. Es ist ein komisches Gefühl. Ich komme mir vor wie eine Schauspielerin, die eine unpassende Rolle übernommen hat,wie eine Fehlbesetzung: »Guten Tag. Ich möchte, äh, muss, mich arbeitslos melden. Ich bin in Elternzeit und habe erfahren, dass ich meinen Job verlieren werde.«
    »Wie lange sind Sie denn noch in Elternzeit?«, kommt es prompt zurück.
    Ich vermisse ein Wort der Anteilnahme, liefere aber wie verlangt das Datum.
    Darauf folgt sofort die nächste Datumsfrage: »Und zu welchem Termin wird Ihnen gekündigt?«
    Als die Mitarbeiterin die lange Kündigungsfrist hört, sagt sie sofort: »Sie sind verpflichtet, sich drei Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitslos zu melden. Soll ich Sie trotzdem aufnehmen?«
    Ich zögere. Wer weiß, wenn ich jetzt »Nein« sage, macht sie ein schwarzes Kreuz in ihrem Computer bei »unwilliger Kunde« und nachher wird mir eine Sperrzeit verpasst. Ich entschließe mich zu einer Gegenfrage. Damit bin ich auf der sicheren Seite. »Was empfehlen Sie?«
    »Sie sind verpflichtet, sich drei Monate vor Ende …« Ich überlege, ob ich es vielleicht immer noch mit einem Telefonroboter zu tun habe. Aber dann kommt ein neuer Satz: »Wenn Sie Beratungsbedarf haben, schon jetzt.«
    Nein, Beratungsbedarf habe ich im Moment keinen, aber das sage ich lieber nicht. Es würde bestimmt schlecht ankommen. Ich vermute eine Falle und frage noch einmal: »Was empfehlen Sie?«
    Sie schaltet wieder den Telefonroboter an: »Sie sind verpflichtet …«
    Ich sehe ein, dass es so nicht weitergeht, und sage, um der Endlosschleife unseres Gesprächs zu entkommen: »Also, dann jetzt.«
    Sie beginnt meine Daten abzufragen: Vorname, Name, Geburtsort, Familienstand, Adresse. Da fällt mir unser anstehender Umzug ein. »Am besten nenne ich Ihnen zwei Adressen, ich ziehe in den nächsten Tagen um.«
    Jetzt wird es ihr offensichtlich zu bunt. »Dann melden Siesich doch wieder, nachdem Sie umgezogen sind. Sonst schicken wir Ihnen alles an die alte Adresse.«
    Diese Logik verstehe ich nicht: Kann Sie nicht zwei Adressen eingeben? Hat Sie noch nie etwas von einem Nachsendeantrag gehört? Aber ich willige ein.
    Nachdem ich aufgelegt habe, überlege ich, was sie nun mit dem Datensatz macht, den sie offenbar während unseres Telefonats angelegt hat. Hat sie ihn wieder gelöscht? Oder hat sie ihn gespeichert und womöglich mit vielen schwarzen Kreuzchen versehen: »Störrischer Kunde, komplizierter Kunde, zieht jetzt auch noch um!«

[ Menü ]
    Papierkram
    Das Telefonat mit der Arbeitsagentur hat mir gezeigt, wie ernst es jetzt für mich wird. Zuvor gelang es mir zwischendurch immer wieder, die drohende Kündigung zu verdrängen und Hoffnung vor meine Angst zu schieben. Aber dieser erste Kontakt mit der Behörde hat mich aufgeschreckt. Auf einmal ist es mir unmöglich, den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten. Das ist definitiv die falsche Strategie.
    Also stürze ich mich in »Gekündigtenarbeit«, wie ich inzwischen alle Arbeiten nenne, die mit dem Rausschmiss zu tun haben – Telefonate mit Anwälten und Betriebsräten, Bewerbungsvorbereitungen. Doch dieser Aktionismus ist nicht wirklich zielführend. Eigentlich sollte ich in Ruhe und Gelassenheit überlegen, was jetzt am besten zu tun ist. Stattdessen schreibe ich wild To-do-Listen. So habe ich zwar wenigstens den Eindruck, etwas zu tun. Aber ich mache die Familie damit ganz verrückt.
    Und mich auch. Denn eigentlich habe ich gar keine Zeit für diese hektische Betriebsamkeit. Das macht mich reizbar und nervös. Meine Hyperaktivität beschränkt sich zwangsläufig auf die paar Familienpausen, wenn die Kinder schlafen oder Johannes übernimmt. Darum hänge ich seit Tagen an Punkt eins meiner überlangen Prioritätenliste: dem Arbeitszeugnis.
    Mein Chef Jürgen hatte mir vor ein paar Tagen eines geschickt. Er ist ein netter Chef, dem seine Mitarbeiter am Herzen liegen. Auch für ihn ist die Einstellung des Projekts eine Katastrophe. Nun bemüht er sich offenbar, seine Schäflein mit den besten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher