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Gefangen in Deutschland

Gefangen in Deutschland

Titel: Gefangen in Deutschland
Autoren: Katja Schneidt
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ihn näher kennenzulernen. Darum freute ich mich, als er mir anbot, mich auch am nächsten Tag wieder nach der Arbeit heimzufahren.
    Beschwingt schloss ich die Haustür auf und warf meine Tasche auf einen Sessel. Ich war sehr stolz auf meine gemütliche kleine Wohnung. Sie hatte zwar nur zwei winzige Zimmer und die meisten Möbel hatte ich gebraucht gekauft, aber sie konnte sich sehen lassen. Eigentlich war ich zusammen mit meinem Freund hier eingezogen, doch schon kurze Zeit später war die Beziehung in die Brüche gegangen und ich allein in dem Apartment zurückgeblieben. Das Geld, das ich im Brückenwirt verdiente, reichte gerade für die Miete. Mein auch nicht gerade üppiges Ausbildungsgehalt deckte die sonstigen Unkosten ab. Große Sprünge konnte ich zwar keine machen, aber ich kam über die Runden. Ich hätte es sehr bedauert, aus der Wohnung wieder ausziehen zu müssen, da ich wunderbare Nachbarn hatte, mit denen ich mich gut verstand.
    Ich ging ins Badezimmer, um Wasser für eine heiße Wanne einlaufen zu lassen. Normalerweise verzichtete ich zu so später Stunde auf dieses Vergnügen, denn das Apartmenthaus war ziemlich hellhörig. Wenn meine Nachbarin Maria niesen musste, konnte ich ihr durch die Wand Gesundheit wünschen und musste nicht einmal meine Stimme erheben, damit sie es auch hörte. Aber an diesem Abend konnte ich Maria die kleine Ruhestörung nicht ersparen: Ich hatte das dringende Bedürfnis, in dem duftenden warmen Wasser wieder Ruhe in meine aufgewühlten Gedanken zu bringen. Die kurze Begegnung mit Mahmud hatte mich wirklich sehr berührt.
    Warum hatte ich mich neben ihm im Auto so geborgen gefühlt? Ich kannte ihn doch kaum! Geborgenheit – dieses Gefühl war für mich immer ein Fremdwort geblieben. Nachdem mein Vater gestorben war, hatte meine Mutter zu trinken angefangen. Meine Kindheit war mit einem Schlag zu Ende gewesen, weil ich mich ab dem Moment um sie hatte kümmern müssen statt umgekehrt. Auch sonst hatte es niemanden in meiner näheren Umgebung gegeben, keine Verwandten, Freunde meiner Eltern oder gar Lehrer, die sich für meine Belange interessiert, ein offenes Ohr für meine Sorgen und Nöte gehabt oder mich unterstützt hätten, wenn ich Hilfe brauchte. Mein Bruder Ralf, der das ganze Familiendrama natürlich aus nächster Nähe mitbekommen hatte, fiel aus – er hatte genug mit sich selbst zu tun. Er war zwar vier Jahre älter als ich, also beim Tod unseres Vaters bereits sechzehn, aber aus heutiger Sicht weiß ich, dass ein Junge, der mitten in der Pubertät steckt, einfach schlichtweg damit überfordert ist, sich um seine kranke Mutter und kleine Schwester zu kümmern. Und tatsächlich funktionierte ich ja auch immer bestens! Ich schien alles im Griff zu haben und die Umsicht und Verantwortung in Person zu sein. Was mich das jedoch an Kraft gekostet hatte, sollte mir erst viel später bewusst werden. Umso froher war ich jedenfalls jetzt, auf eigenen Füßen zu stehen und abends in meiner eigenen Badewanne entspannen zu können. Ja, ich war eigentlich sehr glücklich mit meiner Situation, aber hin und wieder bemerkte ich doch, dass mir eine Schulter zum Anlehnen fehlte. Wie gern hätte ich auch mal die Verantwortung für den Alltag geteilt und mich von einer Welle der Geborgenheit und Fürsorge tragen lassen …
    Am nächsten Morgen fiel mir das Aufstehen viel leichter als sonst. Ich freute mich schon unbändig darauf, Mahmud am Abend wiederzusehen, und mehr als sonst achtete ich auf mein Make-up und meine Kleiderwahl. Katja, du hast dich verliebt!, schoss es mir durch den Kopf. Na und?
    Als Mahmud am Abend den Brückenwirt betrat, schauten seine Augen nicht ein bisschen böse. Und als sich unsere Blicke trafen, wurde mir für einen Moment schwindelig.
    Er bestellte wieder eine Cola und nahm an der Theke Platz. Aufmerksam verfolgten seine Augen jeden meiner Handgriffe. Ich war besser gelaunt denn je, und das bekamen auch meine Gäste zu spüren. Ich scherzte mit dem einen oder anderen und pfiff beim Fertigmachen der Getränke vor mich hin. Ich konnte es kaum erwarten, dass endlich Giorgio kam, um mich abzulösen. Dass das Lächeln aus Mahmuds Gesicht längst wieder einer finsteren Miene gewichen war, bemerkte ich in meinem Anfall guter Laune nicht.
    An diesem Abend verließen wir das Lokal zum ersten Mal gemeinsam – was sicher zu heftigen Spekulationen unter den Gästen führte. Kaum waren wir draußen vor der Tür, prasselten auch schon die heftigsten Vorwürfe auf
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