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Gefangen in Deutschland

Gefangen in Deutschland

Titel: Gefangen in Deutschland
Autoren: Katja Schneidt
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rückwärtsgewandten Familien. Sie werden schließlich genauso zwangsverheiratet wie ihre (Import-)Bräute oder müssen ertragen, dass die deutschen Mädchen, in die sie sich verliebt haben, partout nicht von ihren Eltern und Verwandten akzeptiert werden. Im Zweifelsfall bleibt auch den Männern nur der völlige Bruch mit der Familie, wenn sie sich nicht regelkonform verhalten wollen oder können.
    Oft werde ich noch heute darauf angesprochen, ob ich aufgrund meiner traumatischen Erlebnisse mit einem Türken nun generell ausländerfeindlich eingestellt sei. Dies kann ich ganz klar verneinen! Ich habe nach meiner »türkischen« Zeit viele Jahre als Au-pair-Gastmutter mit Mädchen aus verschiedenen Ländern unter einem Dach gelebt und pflege zu einigen von ihnen noch heute intensiven Kontakt. Auch besteht mein Freundeskreis aus den verschiedensten Nationen, eine erfrischende und bereichernde Vielfalt, auf die ich nicht verzichten wollen würde. Das Einzige, was mich vielleicht von den Menschen unterscheidet, die nicht meinen Erfahrungsschatz haben, ist die Tatsache, dass ich allem Multikulti-Zauber mit Argwohn begegne und insgesamt eine größere Wachsamkeit an den Tag lege, wenn ich mich in einem muslimisch geprägten Umfeld bewege. Dadurch, dass ich für die dort möglicherweise auftretenden Probleme nun einmal sensibilisiert bin, fallen mir Dinge und Lebensumstände auf, die anderen eher verborgen bleiben. Ich weiß nicht, ob meine Freundin Andrea von sich aus ihre Vermieterin angerufen hätte, als sie die Schreie von Fuad Hemidis Ehefrau hörte. Vielleicht hätte sie nicht einmal bemerkt, dass in der Wohnung schräg unter ihr drei Monate lang jemand komplett eingesperrt lebte, wäre sie nicht durch den ständigen Austausch mit mir hellhörig geworden.
    Wenn ich mit der Schilderung meiner Geschichte erreichen kann, dass auch Sie in Zukunft genauer hinschauen und registrieren, wenn in Ihrer – muslimischen oder nicht-muslimischen – Nachbarschaft jemand dringend Ihre Hilfe benötigt, weil ein anderer ihn seiner Freiheit und persönlichen Grundrechte beraubt, dann wäre ein wichtiger Zweck dieses Buches erfüllt.
    Katja Schneidt im Januar 2011

1. K APITEL
Liebe auf den zweiten Blick
    D erselbe aufmerksame Blick, der mich schon an den letzten Abenden begleitet hatte, verfolgte auch an diesem Tag wieder jeden meiner Handgriffe. Jede Bewegung, jedes herzhafte Lachen mit einem Gast und jedes Gespräch, das ich führte, schien das Interesse des jungen Türken auf sich zu ziehen. Seit einer Woche kam er Abend für Abend in die kleine Gaststätte, in der ich mir neben meiner Ausbildung ein bisschen Geld verdiente. Meist bestellte er sich eine Cola und nahm am äußersten Ende der Theke Platz. Obwohl hier sehr viele Türken verkehrten, schien er kaum jemanden zu kennen. Nur selten unterhielt er sich mit einem anderen Gast. Seine Augen blickten beinah ein wenig böse, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass ihm irgendetwas fürchterlich missfiel. Fast löste seine Anwesenheit Unbehagen in mir aus.
    Ich war bereits mit siebzehn Jahren von zu Hause ausgezogen, um etwa hundert Kilometer von meinem Heimatort entfernt eine Ausbildung zur Berufskraftfahrerin zu beginnen, und so konnte ich das Geld, das ich bei meinem Thekenjob verdiente, gut gebrauchen. Meine Mutter war nicht in der Lage, mich finanziell zu unterstützen, da mein Vater früh verstorben war und sie genug damit zu tun hatte, für sich selbst zu sorgen. Die Ausbildung war mir sehr wichtig und erfüllte mich auch mit Stolz, denn ich war eine der ersten Frauen, die es geschafft hatten, eine Lehrstelle in diesem Beruf zu bekommen. Viele Tests und Untersuchungen waren nötig gewesen, um die dafür erforderliche Ausnahmegenehmigung zu erlangen, da man als Berufskraftfahrer den Pkw- und Lkw-Führerschein früher erhält als im Normalfall. Um mir diesen Traum verwirklichen zu können, nahm ich den Nebenjob gern in Kauf.
    Ich servierte einem Gast gerade sein zweites Bier, als ich wieder spürte, wie mich die Blicke des Fremden verfolgten. Unwillkürlich drehte ich mich zu ihm um und sah, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Ich musste einfach zurücklächeln. Dann widmete ich mich wieder meinen Gästen.
    Gegen dreiundzwanzig Uhr erschien mein Chef, um mich abzulösen. Giorgio wusste, dass ich am nächsten Morgen wieder fit und ausgeschlafen bei meiner Ausbildungsstelle sein musste und deshalb fast nie bis zur Schließung des Brückenwirts bleiben
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