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Gefangen in der Schreckenskammer

Gefangen in der Schreckenskammer

Titel: Gefangen in der Schreckenskammer
Autoren: Stefan Wolf
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der Fall so dringend ist“, rief
er ihnen nach, versucht es erst mal bei der Bahnhofs-Apotheke. Die hat heute
Nachtdienst und alle Beruhigungsmittel vorrätig.“
    Karl lachte lustlos in seinen
Anorakkragen, als sie wegfuhren.
    „Beruhigungsmittel aus der Apotheke bei
seelischer Bedrängnis! So stellt sich der Laie Psychologie vor.“
    „Unbedarfter Typ, dieser Freud“, nickte
Tim. „Schlimmer ist, daß wir jetzt unseren Seelensteckbrief nicht kriegen.
Dabei könnte er nützen.“
    „Es gibt doch noch mehr Psychologen.
Angelika Schmählich ist nicht da. Also nehmen wir... Ach nein, ist Mist!“ Tim
nickte. „Mir widerstrebt es auch, unseren... Ottmar Tickel einzuschalten. Aber
für Gaby tun wir alles, nicht wahr? Außerdem ist er als unser Schulpsychologe
zur Hilfe verpflichtet. Selbstverständlich weihen wir ihn nicht ein. Zumindest
lassen wir Gabys Namen aus dem Spiel.“
    „Dann mußt du aber cool bleiben. Sonst
merkt er gleich, wer gemeint ist.“

5. Tickels Schweigepflicht
     
    Am Rande der Innenstadt, wo die Büro-
und Kaufhausgebäude in Wohnhäuser übergehen, hatte Tickel seine Privatwohnung.
    Die Jungs standen vor einer ziemlich
prächtigen Wohnwabe und spähten zum sechsten und obersten Stock hoch, wo
Lampenschein auf eine Dachterrasse fiel.
    „Entweder ist er zu Hause“, sagte Tim,
„oder er hat Angst vor Einbrechern und läßt das Licht brennen, wenn er
außerhäusig weilt. In der Eckkneipe, um die Volksseele zu studieren. Im
Stadtpark, um sich gassi zu führen. Oder er guckt sich im Kino einen Western
an, weil er gern ein Held wäre — was er aber niemandem zugibt.“
    „Oder“, sagte Karl, „er sitzt in
Angelika Schmählichs Kurs und schmachtet sie an.“
    Sie klingelten.
    Tim blieb mit dem Ohr nahe der
Gegensprechanlage. Nach einer halben Minute vernahm er Tickels ölige Stimme.
„Ja, bitte?“
    „Herr Tickel, hier sind Peter Carsten
und Karl Vierstein. Können wir Sie einen Moment sprechen?“
    „Jetzt?“
    Nein, morgen früh, du Knalltüte! dachte
Tim, deshalb sind wir ja jetzt hier.
    „Wenn es geht, sofort!“
    „Ist denn was vorgefallen?“
    „Wir haben ein Problem.“
    Probleme — das war der Knochen, auf den
Tickel sich stürzte. Wenn jemand Probleme hatte, seelische, menschliche,
zwischenmenschliche — dann war das sein Bier. Er half, die Probleme zu lösen —
auch wenn sie unlösbar waren — und schickte seine gesalzenen Rechnungen.
    „Ich drücke auf den Summer“, sagte er.
„Ihr müßt die Tür kräftig aufstoßen. Sie klemmt etwas.“
    Als es summte, warf Tim sich gegen die
Tür, als müsse er das Haus einreißen.
    Vor dem Fahrstuhl auf der anderen Seite
der Eingangshalle bremste er ab.
    „So sehr klemmt sie nun auch wieder
nicht“, meinte Karl. Er war noch draußen.
    „Hätte es mir denken können. Tickel ist
‘ne schlappe Gurke. Was ihn anstrengt, machen wir mit links.“
    Sie fuhren hinauf. Tickel hatte seine
Wohnungstür angelehnt. Er saß in dem großen Wohnraum, der sehr elegant und in
den Farbe Beige und Hellblau eingerichtet war. Die Fensterseite war von oben
bis unten aus Glas. Eine Schiebetür führte auf die Dachterrasse, wo Gartenmöbel
standen und leere Blumenkübel. Man konnte weit über die Stadt sehen und alle
Kirchentürme zählen.
    Tickel gab den beiden Jungs die Hand.
Er kannte sie, hatte aber noch nicht mit ihnen zu tun gehabt. Er bot Platz an.
    Karl versank in einem weichgepolsterten
Sessel wie in einem Berg Kopfkissen. Tim setzte sich auf den afrikanischen
Lederhocker und strich mit dem Blick über Flasche und Glas, die Tickel in
seiner Reichweite aufgestellt hatte.
    Likör? Tickels Worte rochen nach
Mandeln.
    Wer ihn von weitem sah, hätte ihn nicht
für einen Schleimi gehalten, eher für einen satanischen Typ. Er hatte spitze
Backenknochen, schräge Schlitzaugen und grüne Pupillen. Sein Lächeln war
festgeleimt. Wahrscheinlich lächelte er auch auf Beerdigungen. Man sah das
Lächeln nur aus der Nähe.
    „Nun, womit kann ich euch so spät noch
helfen?“
    Er beugte sich vor, als wollte er zur
Flasche greifen. Rechtzeitig fiel ihm ein, daß Jugendliche andere Vorbilder
brauchen. Er verzichtete auf den Mandellikör. Viel Zeit würde er ohnehin nicht
opfern.“
    „Noch sind wir vergattert“, sagte Tim,
„strengstes Stillschweigen zu bewahren. Weil sich erst rausstellen wird, ob ein
Kapitalverbrechen dahintersteckt. Die Kripo hat uns also den Mund versiegelt.
Sie haben Verständnis dafür, daß wir deshalb den Namen des Opfers
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