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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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düster übers Wasser. »Meine – Frau.«
    Weit draußen schnatterte eine Ente. Vielleicht war es eine, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollte. Vielleicht bat sie uns auch ganz einfach, die Schnauze zu halten, damit sie ihre Nachtruhe bekam.
    Stumm gingen wir weiter. Eine Runde. Und die zweite.
    Wir atmeten so tief durch, wie wir konnten, mischten den Alkohol in unserem Blut mit Sauerstoff, und bekamen nach und nach den Kreislauf in Gang, sowohl in den Beinen als auch im Kopf.
    Während der zweiten Runde begannen wir, wieder zu reden, und nach der dritten fühlten wir uns fit genug für einen erneuten Tieftauchgang ins freitagliche Leben der Stadt.
    »Machen wir noch eine Runde, dann haben wir den Frühlingslauf geschafft.«
    Also machten wir noch eine und fühlten uns noch mehr gestärkt für ein Wiedersehen mit Johnny Solheim, die Antwort auf Elvis aus dem Nordnesvei, das lokale Perpetuum mobile des Rockzeitalters: die Ewigkeitsmaschine, die nie aufhörte, ihre eigenen früheren Erfolge zu singen.
    » One for the money! «sagte Jakob.
    » Two for the show! «holte ich ihn ein.
    » Three to get ready! «
    » So go, cat go! «
    Und wir gingen, in die Richtung, in die uns die Blue suede shoes führten, die wir nicht mehr trugen.

5
    Die Show war in vollem Gang, als wir kamen. Die Tanzfläche war brechend voll, und wir konnten uns gerade eben an der Wand entlang und an einen winzigen Tisch quetschen, der zwischen einer Säule und der Schwingtür, die in die Küche hinausführte, eingeklemmt stand. Kellner kamen und gingen, wie diese Figuren, auf die man auf dem Jahrmarkt schießt. Wir hätten vielleicht auch unser Luftgewehr mitbringen sollen.
    Das Interieur war geprägt durch braunes Teak und Topfpalmen, burgunderfarbene Bordellstoffe und eine allgemeine Darbietung von schlechtem Geschmack. Das Lokal war verraucht wie nach einem latenten Vulkanausbruch, und als wäre das noch nicht genug, spien Rauchmaschinen einen dichten Nebel über die Bühne, wo eine grelle Rauch-und-Licht-Show und vier Hintergrundmusiker den Rahmen um die Sängerin bildeten, die ein eigenes Magnetfeld produzierte, ganz vorn am Bühnenrand.
    Ich renkte mir fast den Hals aus, um sie im Blick zu behalten, während wir uns zu unserem kleinen Tisch vorarbeiteten. »Hast du nicht gesagt, es sollte eine Oldie-Pop-Show geben?« rief ich nach vorn zu Jakob.
    »Nein, nein!« rief er zurück. »Freitags nie. – Der Johnny macht einen Oldie-Pop-Spot. Sie wählen jeden Freitag einen Veteranen aus. Die Haupt-Show liefern jüngere Kräfte. Aber die Musiker sind dieselben.«
    »Man kann sie ja nicht mal sehen, ohne Nebelleuchte.«
    Wir zogen den Bauch ein und quetschten uns an den Tisch.
    Die junge Sängerin war elektrisierend. Sie bewegte sich, als balanciere sie am Rande eines kontinuierlichen Orgasmus, und sie behandelte das Mikrophon auf eine Weise, die Tina Turner zu einem Pfadfindermädel machte. Ihre Lippen waren voll und feucht, und der runde Mikrophonkopf war fast in ihrem Mund. Das wuschelige, blonde Haar war naß von Gel, und ihr Gesicht war noch jungmädchenhaft mit seinen runden, etwas robusten Linien. Sie trug eine locker fallende, schwarze Lederjacke und enge schwarze Lederhosen: so eng, daß du das Gefühl hattest, ihre Schamhaare zählen zu können. Unter der Lederjacke trug sie ein graues T-Shirt, das schon fleckig war von Schweiß.
    »Wer ist das?« fragte ich und hörte selbst, wie meine Stimme vibrierte.
    »Bella Bruflåt, eine der neuen Sternschnuppen. Ich habe Gerüchte gehört, sie hätte schon das Demo für ihre erste LP gemacht.«
    »Das kann ich mir denken. Abgesehen davon, daß du auf der LP das alles hier verpaßt.« Ich nickte zur Bühne, wo Bella Bruflåt die linke Hand in demonstrativer Positur an den linken schwarzen Oberschenkel gelegt hatte – und die Hand sah fast unanständig weiß aus! –, während sie gleichzeitig das Mikrophon in einer noch deutlicheren Bewegung als vorhin vor dem Mund hin und her bewegte und einen Urschrei ausstieß, untermalt durch eine gellende Gitarrenphrasierung, so daß ein sinnliches Stöhnen durch die ganze Versammlung ging. Ein paar Sekunden lag der Raum in vollkommener Stille. Die Musik war verstummt, niemand aß oder trank, alle saßen nur da und gafften.
    Dann lachte Bella Bruflåt glücklich, ein heiseres, zweideutiges Lachen, und machte einen Schlenker mit dem Kopf, während der Applaus sich über sie ergoß. Danach wandte sie uns den Rücken zu und stieg in den Nebel hinein. Das Licht
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