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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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Lust?«
    »Eigentlich nicht. Andererseits … Doch. Laß uns hingehen. Ich hab’ was, das …« Er sprach nicht zu Ende, sondern blieb in Gedanken versunken sitzen.
    Ich holte ihn wieder heraus. »Was ist mit den anderen?«
    »Mit welchen anderen?«
    »Von den Harpers.«
    »Erinnerst du dich noch an sie?«
    »Natürlich erinnere ich mich an sie.«
    Er beugte sich nach vorn über die Tischplatte. »Du warst doch nie beim Tanz, Varg.«
    »Sie gingen doch zur selben …«
    »Warum …«
    »… Schule.«
    »… nicht?«
    Ich sah ihn genauer an. Er hatte einen streitsüchtigen Gesichtsausdruck bekommen. »Tja.«
    »Tja?«
    »Weil ich eine Menge Zeit mit jemandem verbrachte, der auch nicht zum Tanzen ging.«
    Er grunzte.
    »Aber das heißt nicht, daß ich euch nicht gesehen hätte. Hast du vergessen, daß ich euch ein paarmal die Anlage mit getragen habe? Einmal draußen in Salhus, einmal in der Espelandshalle, und einmal waren wir verdammt noch mal sogar ganz draußen in Rong, mit zwei Fähren und Bussen, ewig rein und wieder raus.« Und sie hatten auf der Bühne gestanden, im grellsten Scheinwerferlicht, seit Gott die erste Morgendämmerung entzündete, und spielten, als hätten sie Luzifer selbst auf den Fersen.
    The Harpers. 1959. Der Johnny in Hawaiihemd und schwarzen Terylenhosen, mit langem Haar im Nacken und einer Frisur wie ein Vaselinefabrikant, mit Elvis-Zuckungen in Handgelenk, Kinn und Hüftpartie, einem Stimmvolumen wie ein Nebelhorn, und der Hand wie ein Dampfhammer an der rotschimmernden Gitarre: ein typischer Drei-Akkord-Mann, der schon damals durch Sexappeal und demonstratives Brunstgehabe wirkte. Zwei Schritte neben und einen halben Schritt hinter ihm Jakob, auch er mit Gitarre, aber bei weitem besser in der Handhabung der Saiten, das Haar flach an die Kopfhaut angelegt in dem verzweifelten Versuch, die wilden Locken zu zähmen, in weißem Hemd, mit schmalem Schlips und einer Jacke mit Schlangenledermuster vom Typ, wie sie Brando trug in The Fugitive Kind, mit vollreifen Pickeln im Gesicht und den Hals hinunter und einer zweiten Stimme, die er bei den Sängerknaben von Torstein Grythe hätte gelernt haben können. Und an den Flanken: Harry Kløve mit der Baßgitarre und Arild Hjellestad am Schlagzeug.
    »Sie gingen in die Klasse unter uns, beide«, sagte ich.
    Er nickte. »Stimmt.«
    »Harry Kløve war dunkel und mager und erinnerte an Roald Aas mit zurückgekämmtem Haar. Er redete nicht viel, aber spielte wie ein Jazzgitarrist. Der einzige in der Band, der sich mit dir messen konnte.«
    »Ein Naturtalent.«
    »Arild Hjellestad dagegen …«
    »Was war mit ihm?«
    »Ein pummeliger kleiner Affe. Mit zu kurzen Armen, um jemals ein Schlagzeuger von Format zu werden, aber mit einer Energie, die gereicht hätte, um die Askoyfähre rückwärts laufen zu lassen.«
    »Du erinnerst dich also an damals.«
    »Als sein Schlagzeug am Kai zurückgeblieben war, ja?«
    »Und der Arild wie ein Jojo auf die Brücke sauste und den Kapitän dazu brachte zurückzufahren.« Er sah plötzlich viel freundlicher drein. »Das waren Zeiten, Varg. Oh, das waren Zeiten.«
    »Er hüpfte wie ein Gummiball auf und ab hinter seinem Schlagzeug, unansehnlich wie ein Tellerwäscher, mit Pausbacken und Struwwelpeter-Haaren. Wenn ich sie – euch – vor mir sehe, wie ihr damals wart … Dann ist es fast unmöglich, sich euch alt vorzustellen.« Ich sah ihn an, mit seinem bärtigen Gesicht. »Du zum Beispiel, bist schlicht und einfach ein völlig anderer.«
    »Besonders alt sind sie auch nicht geworden«, sagte Jakob plötzlich, und sein Gesicht verdunkelte sich wieder.
    »Was meinst du? Wer?«
    »Beide. Liest du keine Todesanzeigen?«
    »Doch, jetzt wo du es sagst, doch …«
    »Mit weniger als einem Jahr Abstand.« Er schnippte mit den Fingern, brachte aber nur einen kläglichen Laut zustande. »So! Und sie sind weg. Beide.«
    »Woran sind sie gestorben?«
    Er drehte den Kopf herum und sah sich um. »Ich – will nicht darüber reden.« Er drehte den Kopf zurück. »Gehen wir?«
    »Warum ni …«
    »Nein.«
    Ich nickte. »Na gut.«
    Paul Finckel war noch immer in Aktion. Seine rundlichen Finger spielten mit der Seitennaht des Kleides der Frau mit dem verängstigten Gesicht, als sei er einer ihrer Alpträume, zum Leben erweckt. Sie sah fast bewußtlos aus, wie sie da um seinen Hals hing und sich an ihr eigenes Handgelenk klammerte.
    Wir blinzelten ihm zu, als wir gingen.
    Er blinzelte zurück und machte ein paar affenhafte Bewegungen mit
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