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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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nicht mal ein geschultes Auge, um zu sehen, daß Krebsoperationen und Zahnkorrekturen sie recht weit von den Frauen entfernt hatten, mit denen wir in den 50ern beim Tanz gewesen waren. Und sie wußten es selbst. Die Perücken lagen wie zerrupfte Nager auf ihren Köpfen, und sie hatten mit Tanzpartnern vorlieb genommen, die zehn, zwanzig Jahre älter waren als sie, mit schütterem Haar und steifen Knien.
    »Ich habe eine Theorie«, sagte Finckel. »Der einzige von uns dreien, der in diesem Laden reelle Chancen hat, bin ich.«
    »Ach ja?« sagte ich und sah mich um. Am Tisch nebenan saß eine Frau in meinem Alter, mit einem schönen und alkoholisierten Gesicht, in dem Zeit und Angst ihre Spuren hinterlassen hatten wie Vogelfüße in frischem Schnee. Sie hatte eine frisch angesteckte Zigarette im einen Mundwinkel hängen, und einen Augenblick lang glaubte ich, ihren Blick eingefangen zu haben, bis ich begriff, daß es die leere Luft zwischen uns war, in die sie starrte.
    »Du, Jakob, siehst viel zu jugendlich aus, mit dem Buschwerk in deinem Gesicht, das du dir angeschafft hast«, fuhr er fort. »Und du, Varg, bist ein bißchen zu flott in den Kurven. Diese Frauen hier, deren Körper den Zahn der Zeit nicht ganz verkraftet haben und jedenfalls keine zu starke Beleuchtung vertragen, die wollen am liebsten einen noch verlebteren Körper, um sich darin zu spiegeln. Deshalb wählen sie einen wie meinen«, sagte er und lächelte stolz, faßte um seinen Bauch und hievte ihn hoch, um ihn dann gemächlich wieder an seinen Platz über dem Gürtel zurücksacken zu lassen.
    »Wir hätten also mit anderen Worten lieber bleiben sollen, wo wir waren?« sagte ich.
    Er lachte. »Nein, o nein. Da war der Abstand zu groß. Zwei Mädchen in den Dreißigern, das wäre das Richtige für euch.«
    »Kennst du welche?«
    »Wenn du sie ordentlich gebraucht magst, schon.«
    Nicht lange danach tanzte er mit der Frau vom Nachbartisch. Sie schwebte wie eine verkannte Ballerina zwischen seinen kurzen Armen, aber ihr Kopf war weit, weit weg, und sie kommunizierten nur mit dem Unterleib.
    Jakob und ich tauchten unsere verlorene Jugend in neue Biergläser, aßen angebrannte Steaks und weichgekochten Blumenkohl, und fühlten uns schwerer und schwerer zwischen den Ohren. Es war ein langer Tag gewesen, wie es Tage, die mit Beerdigungen beginnen, oft sind.
    »Ich weiß noch, einmal, Varg, im Gymnasium. Wir waren eine ganze Clique, die ins Neptun ging nach einem Gymnasiastentreffen. Das letzte Treffen der Frühlingssaison, im Mai, und sie hatten Maiglöckchen auf dem Tisch. Du stecktest eines ins Bierglas und fragtest: Serviert ihr hier das Bier in Blumenvasen, oder was? – wenig später mußten wir gehen.«
    »Das ging ziemlich schnell damals, daß wir gehen mußten.«
    Wir beendeten die Mahlzeit. Zum Nachtisch bestellten wir zwei neue Halbe. Paul Finckel hatte sich längst einen geholt und am Nebentisch Platz genommen, was die Frau, mit der er getanzt hatte, noch ein wenig nervöser und alkoholisierter aussehen ließ.
    Jakob sah mich inquisitorisch an. »Du bist so still geworden, Varg. Woran denkst du?«
    »Ich hab’ zurückgedacht an – damals.« Ich lächelte schief. »An die Mädchen, die wir – kannten.«
    »Und an wen?«
    »Och – verschiedene.« Ich ließ meinen Blick durchs Lokal wandern.
    »Siehst du hier vielleicht welche von ihnen? Willst du tanzen?«
    »Nein. Ich fürchte, diese hier waren zu alt, auch schon vor fünfundzwanzig Jahren.«
    »Vielleicht sollten wir gehen?« näselte Jakob. Die Halben begannen, ihre Wirkung zu tun.
    »Vielleicht.« Wenn ich ehrlich war, hatte ich selbst Seegang im Blick. Ich rührte mit dem Zeigefinger im Bierglas herum. »Warum habt ihr mit den Harpers aufgehört, Jakob?«
    »Warum fragst du?« sagte er und machte eine abrupte Bewegung, wie wenn ein Hund versucht, sich von der Kette zu befreien.
    »Och, ich …«
    Er unterbrach mich: »Wir wurden zu alt. Die Interessen gingen nach und nach in verschiedene Richtungen.« Er wandte den Kopf zur Seite, wie um deutlich zu machen, daß er nicht weiter darüber sprechen wollte.
    »Was ist aus euch geworden?«
    Er wandte sich wieder mir zu und lächelte sarkastisch. » Ich sitze hier.«
    »Das seh’ ich. – Und der Johnny singt immer noch?«
    Er nickte und sah an mir vorbei. »Der Johnny singt. Wir könnten …«
    »Ja?«
    »Nein, ich weiß nicht. Er singt heute abend, im Steinen. Die haben da eine Reihe mit Altpopsängern, jeden Freitag.«
    »Ja? – Hast du
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