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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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im siebten Monat.«
    Jakob schüttelte den Kopf. »Der Paul ist Journalist. Na ja, schlagfertig war er schon immer. Aber ich hab’ ihn immer als Feinkostwarenhändler vor mir gesehen. Oder?«
    »Das ist eine aussterbende Rasse. Sie werden nicht einmal vom Tierschutzbund geschützt.«
    »Und du …« Er sah mich mit fröhlich mißtrauischem Blick an. »Du nennst dich doch nicht etwa wirklich Detektiv?«
    »Was meinst du, wie ich mich nennen sollte? Konsulent?«
    »Ja? Privater Ermittlungskonsulent, oder – nein, paß auf Nachforschungskonsulent, klingt das nicht vertrauenerweckend?« Er beugte sich nach vorn. »Wenn ich also einmal Hilfe brauchen sollte, dann häng’ ich mich einfach ans Telefon?«
    »Wenn nur das Kabel nicht reißt. Es ist schon strapaziert genug«, sagte ich kryptisch und spülte meinen Mund mit Malz und Hefe aus.
    Ein Schatten fiel über unseren Tisch. Da stand Paul Finckel schwankend, die Hände flach in Hüfthöhe abgespreizt, wie um einen Rock zu pantomimen, während er fröhlich sang: » Ingeborg, das nenn’ ich ’nen Spaß, mit dir beim Tanz – und ein volles Glas. «
    Jakob fiel ein: » Ingeborg, komm, sag nicht nein – heut abend woll’n wir glücklich sein. «
    Am Nebentisch klatschten zwei Jugendliche schwerfällig in die Hände, mehr um der Bewegung willen als aus Begeisterung. Paul Finckel drehte sich trotzdem um und nahm elegant den Applaus entgegen, winkte, um »ein, nein – drei! – Halbe für uns, Fräulein, für mich und meine Freunde« zu bestellen, und ließ sich dann plump auf den freien Teil der Bank fallen, auf der ich saß. »Wohin soll’s gehen?« fragte er und sah sich um.
    Es ging durch drei leere Gläser zur nächsten Haltestelle, ein Stückchen weiter auf Bryggen. Hier war die Klientel älter, bestand mehr aus chronischen Säufern, und die Musik war nicht so ohrenbetäubend, so daß es möglich war, sich zu unterhalten.
    Wie bei Alice in Wonderland tranken wir nicht nur aus Flaschen, die uns kleiner machten, sondern wir wurden auch jünger. An dem Tisch mit dem karierten Tischtuch schrumpften wir zu drei Jungs zusammen, die sich irgendwo in dem bedeutungsvollen Vakuum zwischen zehn und dreizehn befanden, auf dem Sprung in die Welt der Mysterien.
    Paul Finckel bekam das Haar zurück, das er mitten auf dem Kopf verloren hatte, eroberte die gut imitierte Elvis-Tolle zurück, gegen die sich sein dünnes Haar schon immer gesträubt hatte, saß wieder mit dem ewigen leichten Grinsen um den Mund in der letzten Bank, ein Irritationsmoment im Alltag der Lehrer und ein Witzbold, dem der Erfolg vorbestimmt war. Er zog wieder in der Abelsgate ein, das kurze, steile Straßenstück zwischen Nordnesveien und Haugeveien, der mittlere von drei Söhnen, aber der einzige mit angeborenem Witz, Bruder zweier Schwestern, alle Kinder eines Elektrikers, der Per hieß und ein längliches, schmales Gesicht hatte, unter einer dichten, blonden Haarmähne, was ihm im Volksmund den unvermeidlichen Namen Glühbirne gab.
    Jakob Aasen wurde wieder bartlos und picklig, wie schon in jungen Jahren, ein nachdenklicher Musterschüler aus der Claus Frimannsgate, Sohn eines Verkäufers in einem renommierten Herrenausstattungsgeschäft und einer Mutter, die zu Hause Klavierstunden gab.
    »Leben deine Eltern noch?« fragte ich.
    »Meine Mutter ist tot. Ich habe ihren Flügel bei mir stehen. Aber Vater lebt noch. Aber das Geschäft, in dem er gearbeitet hat, ist von Bik Book aufgekauft worden.«
    Und ich selbst?
    Ich wurde zum einzigen Kind des Straßenbahnschaffners, der in seiner Freizeit Altnordische Mythologie studierte und die größte Stunde seines Lebens erlebte, als er seinem Sohn den Namen gab. Ich zog wieder in das schiefe, graue Haus, mitten in einer Seitengasse, wo jetzt ein Wohnblock stand und eine Art Fußballplatz war, schräg gegenüber von Anita, die in der Straße das Mädchen mit den engsten Pullis und den üppigsten Titten war, wenn du von allen Schwergewichtlerinnen um die vierzig und älter absahst, die ihre Milchbehälter vom Vorkriegsmodel auf solide Fensterbänke stützten, wenn sie sich aus dem Fenster lehnten, um mit den Nachbarsfrauen zu tratschen. An dunklen Herbstabenden hing mein Blick an dem durchscheinenden Rollo vor dem Fenster, hinter dem sie sich auszog, in der Hoffnung, wenigstens einmal eine Silhouette zu erspähen. Eine Hoffnung, die definitiv starb, als sie von Johnny schwanger wurde, nach Paddemyren umzog und endgültig ins Lager der Erwachsenen
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