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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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fiel scharf ihren Rücken hinunter, auf ihr Hinterteil und ihre Schenkel. Es entstand eine erneute Elektrizität im Raum, eine explosive Erwartung.
    Dann begann sie langsam, den Po zu bewegen, im Rhythmus mit den ersten, vorsichtigen Schlägen des Drummers. Dann kam der Bassist dazu: derselbe langsame, sinnliche Rhythmus. Ein zitternder, einsamer Ton der einen Gitarre durchschnitt das Ganze wie eine Dissonanz und verhallte, während Bella Bruflåt die Hüften in einem langsam schneller werdenden Rhythmus bewegte.
    Jakob murmelte neben mir: »Das ist es, was ich schon immer gesagt habe. Religion ist Rhythmus. Steh auf und ruf Halleluja! – und der Ruf wird sich durch das Lokal verbreiten, ohne …«
    Er brach ab und schluckte, denn Bella Bruflåt hatte eine Hand auf die Schulter gelegt und angefangen, sich die Lederjacke abzustreifen. Wie ein geschlachtetes Tier glitt die Jacke ihre nackten Oberarme hinunter, während der Rhythmus aller Instrumente einen gemeinsamen Punkt fand wie das Tropfen eines Hahnes, das durch die Adern klingt, von einer Küche weit entfernt.
    Jetzt hing die Lederjacke lose über einer Schulter. Mit langsamen, einstudierten Bewegungen nahm sie das Mikrophon von der einen Hand in die andere und hob es an den Mund. Durch den Klang der Instrumente hörte man eine langsame, kristallklare Menschenstimme. Keine Worte, nur ein langer, vibrierender Ton: ein goldener Sonnenstrahl, der plötzlich in einen pechschwarzen Raum einbrach.
    Dann geschah alles in ein paar armseligen Sekunden. Die Lederjacke fiel zu Boden. Sie drehte sich abrupt um, die Arme in die Luft gestreckt, und hätte genausogut nackt sein können, so eng lag ihr graues Hemd an ihrem Oberkörper an. Das Mikrophon schimmerte zwischen ihren Händen. Die Musik schwoll an zu einem ungeheuren Crescendo, in einer Zehntelsekunden-Pause holte sie das Mikro wieder herunter, und dann begann sie zu singen, zum Backgroundsound ihrer eigenen Schamlippen: »Meet me in the middel of the night – Baby – meet me when the moon has gone away – Baby …«
    Und wir sagten nicht nein, keiner von uns. Wir würden sie alle dort treffen, mitten in der Nacht, wenn sogar der Mond zu Bett gegangen war. Und es würde nur uns und Bella Bruflåt geben, und wir würden das Morgengrauen wecken mit unseren Schreien, wir würden die Toten zum Tanzen bringen und die Lebenden um uns herum wie zu Asche verwittern lassen.
    »Meet me in the shimmer of the morning – Baby – Meet me when the sun is coming up – Baby …«
    O ja! Wir würden sie treffen in der warmen Glut der Morgensonne, und kein Kleidungsstück – nicht eine Faser! – würde zwischen unserer Haut und ihrer sein, und selbst die Sonne würde sich abwenden, wenn sie sähe, was wir taten.
    Eine Kellnerin mit breiten Hüften und dunklem Papillothaar schwatzte uns eine Bestellung ab, während Bella Bruflåts Auftritt noch in unseren Adern vibrierte, aber der Croque wurde kalt, bevor wir ihn kosten konnten, und das Bier siedete in den Gläsern von der Stimmung um uns herum.
    Wir fühlten uns fast befreit, als Bella Bruflåt Pause machte, die Nebelschwaden sich hoben und das Orchester eine ruhigere Sequenz gewöhnlicher Tanzmusik spielte. Hunderte von Augen folgten ihr auf dem Weg durch die Tür hinter der Bühne, Hunderte von phantasievollen Gedanken folgten ihr noch viel weiter.
    Ich nickte Jakob zu, als hätte er gerade etwas gesagt. »Das war vielleicht eine – Vorstellung. So was habt ihr nicht gemacht.«
    Er lächelte. »Nein. So was haben wir nicht gemacht.« Nach einem Moment fügte er hinzu: »Ich fürchte, der Johnny hat sich hier ein Ticket für den saftigsten Anti-Klimax der Saison beschafft.«
    Ich war ganz seiner Meinung. Sogar Bette Midier wäre nach dem hier ein Anti-Klimax gewesen.
    Und wie auf ein Stichwort trat einer der Musiker aus der Band zum Mikrophon, das links auf der Bühne stand, und sagte: »Meine Damen und Herren. Wir freuen uns nun, Ihnen den Pop-Oldie-Gast des Abends zu präsentieren. Einen der größten Pop-Sänger der Stadt seit – ich darf Ihnen leider nicht sagen wie vielen – Jahren! Applaus für Johnny Solheim!«
    Und wir alle applaudierten höflich für Johnny Solheim, als er joggend, gewollt jugendlich auf die Bühne kam, zwanzig Jahre zu spät und zwanzig Kilo schwerer als beim letzten Mal, als ich ihn sah, in schmalen, schwarzen Hosen, schwarzer Lederjacke mit breiten, blanken Reißverschlüssen, weißen Strümpfen und schwarzen Schuhen, das volle, dunkle Haar hoch-
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