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Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis
Autoren: Richards Emilie
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obwohl Spencer längst im Rentenalter war. Aurore war froh, dass er seine Kanzlei noch nicht einem seiner jüngeren Partner übergeben hatte.
    „Du warst so elegant“, sagte sie, „und leidenschaftlich. Ich dachte, du würdest mich abweisen.“
    „Als du zum ersten Mal zu mir kamst?“ Er lachte. „Du warst so blass. Und du hast diesen Hut getragen, der deine Stirn verdeckte. Ich fand dich bezaubernd!“
    „Aber was du damals gehört hast, kann dir unmöglich gefallen haben.“
    „Es stand mir nicht zu, das zu beurteilen. Ich versprach dir, nichts von dem, was du mir anvertraust, je weiterzusagen. Und während wir uns unterhielten, spieltest du mit einer Kette aus hellen und dunklen Perlen.“
    „Hell und dunkel.“ Aurore lächelte. „Ich erinnere mich.“
    „Die Perlen verschwanden zwischen deinen Fingern wie ein Rosenkranz. Du bist lange in meiner Kanzlei geblieben. In der Zeit hättest du hundert Fürbitten sprechen können.“
    Sie sah ihn an. „Ich will, dass du ein neues Testament für mich aufsetzt, so wie wir es aufgeschrieben haben. Ich will … dass du das alte Testament vernichtest.“
    Er drückte ihre Hände. „Hast du auch gründlich darüber nachgedacht, meine Liebe?“
    „Ich denke an nichts anderes.“
    „Die Dinge könnten anders verlaufen, als du es dir wünschst.
    Sie könnten mehr Schaden anrichten als Gutes nach sich ziehen. Und zu guter Letzt könnten die Menschen, die du liebst, verletzt werden.“
    „Mein ganzes Leben … hatte ich Angst, die Wahrheit zu sagen.“
    „Und nun hast du keine Angst mehr?“
    „Jetzt habe ich noch mehr Angst.“ Er streichelte ihre Hand, und sie fuhr fort, bevor er sie unterbrechen konnte. „Aber trotzdem … die Wahrheit würde niemals ans Licht kommen. Nun bekommen andere die Chance, so mutig zu sein … wie ich es nie gewesen bin.“
    „Das ist ein mutiger Akt.“
    Ihre Gedanken wanderten zu den beiden Männern, die sie geliebt hatte. Rafe. Und Hugh, ihren Sohn. Zwei Männer, die wussten, was es bedeutete, mutig zu sein. „Nein. Das ist nicht mutig“, widersprach sie. „Eher die letzte verzweifelte Handlung eines Feiglings.“
    Während sie miteinander schwiegen, brach die Nacht herein. Schließlich fragte er: „Kann ich morgen noch einmal herkommen, um zu sehen, ob du deine Meinung geändert hast?“
    „Nein. Bitte tu mir den Gefallen, Spencer, und tu, was wir besprochen haben. Wirst du nach … Grand Isle runterfahren?“
    „Ich werde tun, was immer du willst.“ Er führte ihre Hand an die Lippen und küsste sie. „Ich habe Dawns Adresse. Sie lebt in England und fotografiert für ein New Yorker Magazin. Ich könnte sie bitten, nach Hause zu kommen.“
    Einen Augenblick lang war Aurore versucht, Ja zu sagen. Um Dawn noch einmal wiederzusehen, sie ein letztes Mal zu berühren. Und um ihre Enkelin in alle Geheimnisse einzuweihen, so wie Dawn sie auch immer in alle ihre Kindergeheimnisse eingeweiht hatte.
    Alle.
    Aurore konnte diesen Gedanken nicht ertragen. Sie war tatsächlich so feige, wie sie behauptet hatte. „Nein. Es ist das Beste, sie nicht nach Hause zu holen, bevor …“
    „Ich verstehe.“
    „Es gibt noch so vieles, das ich tun müsste.“
    Spencer erhob sich. „Dann schicke ich ihr und den anderen deinen Brief … wenn es sein muss.“
    „Ja. Die Briefe.“ Aurore dachte an die Briefe, die sie diktiert hatte. Und daran, wie viele Leben sie verändern würden.
    „Du bist müde. Und du hast noch einen anderen Besucher.“ Aurore fragte nicht, wer dieser Besucher war. Sie konnte an Spencers Tonfall erkennen, dass es jemand war, auf den sie sich freute.
    Aurore schloss die Augen, als Spencer das Zimmer verließ. Das Zirpen der Zikaden verstärkte sich. Die Abendluft roch nach süßen Oliven und den ersten Magnolien. Ihr Duft überdeckte den Geruch von Alter und Tod.
    Als sie Schritte hörte, fehlte ihr die Kraft, die Augen noch ein weiteres Mal zu öffnen. Eine feste, starke Hand griff nach ihrer Hand und sie spürte warme Lippen an ihrer Wange.
    „Phillip …“, flüsterte sie.
    „Du brauchst nichts zu sagen, Aurore. Ich bleibe ein Weilchen bei dir. Ruh dich einfach aus.“
    Die Stimme gehörte Phillip, aber einen Moment lang erschien es Aurore so, als ob Rafe an ihrem Bett säße. In diesemAugenblick fühlte sie sich nicht mehr alt, sondern wieder jung. Ihr Leben lag noch vor ihr, und sie hatte noch keine schwerwiegenden Entscheidungen getroffen. Während sie sich den Träumen hingab, summte Phillip eines der
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