Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis
Autoren: Richards Emilie
Vom Netzwerk:
ihrem letzten Wiedersehen perfektioniert.
    „Ich nehme an, du hast mich nicht erwartet.“ Er blieb dicht vor ihr stehen.
    „Das ist eine maßlose Untertreibung.“
    „Ich habe eine Einladung zur Testamentseröffnung deiner Großmutter bekommen.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen. Dawn hatte ihn schon oft so dastehen sehen. Seine Haltung verriet, dass er echt war und nicht bloß eine schemenhafte Erinnerung.
    „Ich bin überrascht, dass du dir die Mühe machst.“ Sie wippte auf den Fersen, als ob sie es gemütlich fände, für immer untereiner tropfenden Eiche zu stehen. „Hoffst du auf eine Story?“
    „Nö. Ich bin jetzt Redakteur. Ich kaufe ein, was andere Leute schreiben.“
    Im letzten Jahr hatte Ben für Mother Lode gearbeitet, ein gefeiertes neues Magazin, das die liberale kalifornische Elite für sich entdeckt hatte. Dawn hatte nur eine Ausgabe gelesen. Offenbar schätzte man dort die Kreativität, den Intellekt und die Selbstgerechtigkeit der Westküste. Es überraschte sie nicht, dass Ben so schnell Karriere machte.
    „Du warst immer schnell in deinem Urteil“, sagte sie.
    Er zuckte mit den Schultern. „Und du scheinst besser darin geworden zu sein.“
    „Ich bin in vielen Dingen besser geworden, nur offensichtlich nicht darin, Grandmère zu verstehen. Ich weiß nicht, ob deine Einladung der Versuch ist, ein Treffen von zwei verflossenen Liebenden zu erzwingen, oder ob sie einfach einen merkwürdigen Sinn für Humor hatte.“
    „Glaubst du wirklich, dass deine Großmutter mich hierher gebeten hat, um dich zu verletzen?“
    „Hast du eine andere Erklärung?“
    „Vielleicht hat es etwas mit Pater Hugh zu tun.“
    Sie warf ihr Haar zurück. „Ich wüsste nicht, warum. Onkel Hugh ist schon seit einem Jahr tot.“
    „Ich weiß, wann er starb, Dawn. Ich war dabei.“
    „Stimmt ja. Und ich war nicht dabei. Ich glaube, das war das Thema unseres letzten Gesprächs.“
    Diese Unterhaltung lag inzwischen ein Jahr zurück, aber Dawn erinnerte sich jetzt wieder daran, als ob Bens Worte noch immer in der Luft schwebten wie an dem Todestag ihres Onkels, als sie neben Bens Krankenhausbett gestanden hatte. Aufgrund ihrer lauten Stimmen war eine Krankenschwester auf sie aufmerksam geworden. Dawn erinnerte sich an den Duft der Lilien, die auf dem Nachttisch eines anderen Patienten gestanden hatten. Ben hatte seine Frage herausgebrüllt und auf Antworten gewartet, die er nicht bekommen hatte.
    Hast du geahnt, Dawn, dass man deinen Onkel wie einen Kriminellen abknallen würde? Dass der Mob auf dem Weg zur Kirche war, um einen guten Menschen in einen Märtyrer zu verwandeln?
    „Ich bleibe!“, sagte Ben. „Ich habe zwar keine Ahnung, weshalb man mich eingeladen hat, aber ich werde so lange bleiben, bis ich eine Antwort darauf finde. Können wir so lange zivilisiert miteinander umgehen?“
    „Du bist von hier, ein echter Louisiana-Boy. Du weißt, dass Gastfreundschaft in diesem Teil der Welt Tradition ist. Ich werde meinen Teil dazu beitragen.“
    Dawn betrachtete ihn einen Augenblick. Sein Haar war länger als vor einem Jahr. Er trug jetzt eine Brille und wirkte nicht mehr zu jung, um Fragen nach den Problemen der Welt zu beantworten. Er sah aus wie ein siebenundzwanzigjähriger Mann, der seinen Platz in der Welt gefunden hatte und nicht beabsichtigte, ihn je wieder herzugeben.
    Sein Vater war auch ein Mann gewesen, der Vertrauen ausgestrahlt hatte. Dawn fragte sich, was geschehen würde, wenn Ferris Lee Gerritsen herausfand, dass Ben Townsend eine Einladung nach Grand Isle erhalten hatte.
    Ben wartete, bis sich ihre Blicke trafen. „Ich werde mich dir nicht aufdrängen.“
    „Oh, mach dir um mich keine Sorgen! Mir drängt sich niemand mehr auf, und es drängt mich auch niemand mehr zu irgendwas. Bleib ruhig, wenn du willst. Aber nicht, um alte Geschichten aufzuwärmen.“
    Sie zuckte die Achseln und kehrte zum Auto zurück, um ihr Gepäck zu holen und ihm zu demonstrieren, wie gleichgültig er ihr war. Sie hatte fast alles, was sie besaß, in Europa zurückgelassen. Dawn griff nach Kamera und Reisetasche, ließ aber den Koffer im Kofferraum.
    In der Ferne donnerte es. Der Boden unter Dawns Füßen schien zu vibrieren. Die schwüle Luft war erfüllt von dem vertrauten Geruch nach Fäulnis und Ozon. Als sie sich umdrehte,stand Ben nicht mehr neben ihr. Sie beobachtete, wie er sich auf dem Austernschalenweg entfernte und war froh, dass sie nicht weiter so tun musste, als sei sie ganz locker.
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher