Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefahrliches Vermachtnis

Gefahrliches Vermachtnis

Titel: Gefahrliches Vermachtnis
Autoren: Richards Emilie
Vom Netzwerk:
Anziehungskraft, die Grand Isle auf ihre Großmutter ausgeübt hatte, konnte Dawn zwar nicht so ganz nachvollziehen, aber sie verstand sie jedes Jahr ein bisschen besser. Der Sommer war immer die Zeit gewesen, um in Großmutters Liebe zu baden. Niemand hatte etwas von Dawn erwartet. Heiße Sonne, leichte Brise. Dawn hatte auf dieser Insel nie etwas anderes zu tun, als heranzuwachsen. Aurores Stolz war Grund genug für Dawn, das Beste aus sich herauszuholen.
    Was hatte Aurore kurz vor ihrem Tod gewusst? Dass Dawn sie immer noch liebte? Dass Dawn sich trotz ihrer Flucht nach dem Tod ihres Onkels immer nach ihrer Familie gesehnt hatte? Dass es einer Kriegserklärung, in einem Krieg, den Dawn sowieso nie begriffen hatte, gleichgekommen war, als sie sich in Ben verliebt hatte?
    Und das Wichtigste von allem: Hatte ihre Großmutter verstanden, dass Dawn trotz der Ozeane, die zwischen ihnen lagen, niemals in der Lage gewesen war, sich von den Menschen loszusagen, die sie liebte?
    Louisiana war wie ein einziges großes türkisches Bad. So erklärte sich vielleicht auch die Trägheit der Einwohner. Ihre kollektive Sicht war von der feuchten Luft gewöhnlicher Sommernachmittage getrübt. An einem Tag wie diesem, wenn Regentropfen die Sommerluft erfüllten, war verständlich, weshalb sich hier nie etwas änderte.
    Ben stand am Strand und beobachtete, wie die schäumende Brandung den Seetang verteilte. Grand Isle war nur ein Sandhaufen, der wie ein ausgestreckter Mittelfinger aus dem pisswarmen Wasser herausragte. Seit der Begegnung mit Dawn vor einer Stunde hatte er schon fast die gesamte Insel umrundet.
    Louisiana gehörte nicht gerade zu Bens liebsten Orten. Er war nicht weit von Grand Isle geboren worden, aber vor einemJahr wäre er dort auch beinahe ums Leben gekommen. Vor einem Jahr hatte er mit ansehen müssen, wie ein Märtyrer von Fanatikern niedergeschossen und liegen gelassen wurde, um sein Leben auszubluten.
    Wo war Pater Hugh Gerritsen jetzt? Ben glaubte weder an einen Himmel noch, dass es in der Hölle schlimmer war als in Louisiana. Trotzdem gelang es ihm nicht, zu glauben, dass Pater Hughs Leben einfach zu Ende war.
    Was hätte Pater Hugh von seiner Nichte gehalten? In ihrem pinkfarbenen Regenmantel sah sie so aus, als benötige sie dringend einen Priester – oder ein Kloster. Ihre Beine waren endlos lang, und ihre kastanienroten Haare endeten nicht nur zufällig – da war er sich sicher – in Höhe ihrer Brüste. Ein Jahr in Europa hatte aus einem Teenager in geblümten T-Shirts eine Femme fatale im Minirock gemacht.
    Und diese Augen, diese herausfordernden Augen! Dawn hatte durch ihn hindurchgesehen, als ob sie sich niemals geliebt hätten. Als ob er sie nie beschuldigt hätte, am Mord ihres Onkels beteiligt gewesen zu sein.
    Er hätte ahnen können, dass sie auf seine Anwesenheit schockiert, vielleicht sogar wütend reagieren würde. Doch mit der eiskalten Arroganz, mit der sie ihn hatte abblitzen lassen, hatte er nicht gerechnet. Was auch immer Aurore mit ihrem Zusammentreffen bezweckt hatte: Diese Feindseligkeit, die es beinahe unmöglich erscheinen ließ, dass ihre Beziehung einmal voller Liebe und Respekt gewesen war, sicher nicht.
    In der Ferne zeichnete sich die Silhouette einer Ölbohrplattform ab. Ben beobachtete die Fischer beim Einholen eines Netzes voller zappeliger Meeräschen. Er litt mit den Fischen, die nach Luft rangen und nicht verstanden, welche fremde Macht sie in diese missliche Lage gebracht hatte.
    Ben ging es wie diesen Meeräschen. Er wusste auch nicht, wie er gegen etwas ankämpfen sollte, das er nicht sehen konnte. Er verstand weder Dawn noch deren Großmutter oder die Gründe, die sie dazu veranlasst hatten, ihn hierher einzuladen.Er verstand nicht, unter welchen Problemen die Gerritsens litten oder warum es ihnen nicht einmal selbst gelang, es herauszufinden.
    Als die Sonne fast hinter einer Gewitterwolke am Horizont verschwand, wusste Ben, dass es Zeit war, zum Gerritsen-Cottage zurückzukehren. Dawn hatte inzwischen genügend Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er wieder in ihrem Leben aufgetaucht war. Vermutlich waren mittlerweile auch ihre Eltern angekommen sowie alle anderen, die ebenfalls eingeladen waren. Er lief den von wilden Kräutern und Seetang gesäumten Weg zurück, als es zu nieseln begann. Hinter ihm stürzten sich die Möwen auf die Meeräschen, die den Fischern entkommen waren.
    Nicht weit vom Cottage entfernt, öffnete der Himmel seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher