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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis
Autoren: John F. Case
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kreischende Kinder­ stimme vom Pool zu ihr hoch.
    Sie ging wieder hinein, zog ihren Laptop aus der Ledertasche und stellte ihn neben das Telefon auf den Tisch im Wohnzimmer. Sie verband den Computer mit dem Telefon, kippte den Monitor so, dass das helle Licht von draußen nicht störte, und schaltete das Gerät ein. Der CPU brauchte etwa eine Minute, um hochzufahren. Als er fertig war, klickte sie das AOL-Logo an und wartete erneut. Schließlich erklang die vertraute Hörnerfanfare, und sie war online.
    E-Mail für dich!
    Sie klickte die Mailbox an, um nachzusehen, von wem.
    7.10. Adrienne - Wo steckst du, Nikki!?
    Kleine Schwester.
    Ohne die Mail zu öffnen, wählte sie das Internet an, tippte in den Kasten für die Web-Adresse
    www.theprogram.org
    und wartete.
    Einen Augenblick später erschien am linken unteren Rand des Bildschirms die Meldung:
    Dokument wird übermittelt
    1% 2% 12% 33%
    Wieso dauerte das so lange?
    Und dann ein nahezu leerer Bildschirm mit der ach so vertrauten Information:
    Unbekannter Server
    Browser kann URL: http://www.theprogram.org/ 
    nicht finden
    Sie griff in die Tragetasche des Computers und nahm einen durchsichtigen Plastiküberzug heraus, der exakt über den Bildschirm des Monitors passte. Es war eine Art Kalender mit zwei Achsen — eine in Zwölftel unterteilte Vertikale und eine Horizontale mit 31 Unterteilungen. Gemeinsam ergaben sie ein Gitter mit 372 Kästchen, eines für jeden Tag des Jahres und sieben zusätzliche. Mit der Maus bewegte Nico den Pfeil auf das Kästchen, das dem Datum des Tages entsprach (7. Oktober), klickte es an und bewegte den Pfeil dann zu einem anderen Kästchen, das dem 11. Februar, ihrem Geburtstag, entsprach. Sie klickte erneut. Sofort erschien die kleine Sanduhr, schwebte unter dem Plastiküberzug, den Nico dann wieder entfernte.
    Es dauerte immer etwa eine Minute, bis die Website geladen war. Sie sah zu, wie der blaue Balken über die Seite kroch, und dann war sie drin:
    Hallo Nico
    Der Cursor blinkte unterhalb der Begrüßung, wartete auf ihre Anweisungen. Sie atmete einmal tief durch, betätigte Strg-F5, dann erschienen Bilder und Wörter und noch etwas, ein Geräusch, das sie eigentlich nicht hörte, sondern spürte. Bilder und Wörter, sie rollten und hüpften und bewegten sich so schnell, dass es unmöglich schien, das alles in sich aufzunehmen. Aber sie tat es. Sie saß in ihrem Zimmer, reglos, die Augen leuchtend von dem Aufruhr auf dem Bildschirm.
    Sie war seit drei Tagen im Resort, und er war noch immer nicht aufgetaucht. Jeden Abend ging sie hinunter zum Strand und wartete auf ihn, bloß um ihn zu sehen — aber er kam nicht. Und allmählich machten ihr die Tabletten zu schaffen. Immer, wenn sie sie zu viele Tage hintereinander nahm, fing sie an ...
    Was?
    Sich zu verlieren.
    Anders konnte man es nicht ausdrücken. Es gab lange Phasen, in denen ... nichts war. Und dann war sie ganz plötzlich wieder sie selbst - nur irgendwie distanziert, immer distanziert, als wäre ihre Identität ein Phantomkörperteil. Man sollte nicht meinen, dass eine kleine Tablette einen derartig packen konnte, aber —
    Keine Bange. Sie hatten gesagt, er würde kommen, und sie hatten immer Recht. Es war bloß eine Frage der Zeit.
    Sie sah auf die Uhr (19:15), schaute dann aus dem Fenster, wo der Himmel sich langsam rot färbte. Ihr vierter Sonnenuntergang.
    Sie schnappte sich ein Handtuch, fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und ging durch den Poolbereich auf den kleinen Plankenweg zu, der zum Strand führte.
    Die Saison hatte noch nicht richtig begonnen, es war erst Anfang Oktober, deshalb waren nicht viele Gäste da. Ein paar Kinder am Pool, die sich gegenseitig mit großen nudelförmigen Gebilden aus Styropor angriffen. Mom in einem Liegestuhl, lesend, und dort drüben lagen zwei eingeölte Teenager mit geöffnetem Bikini-Oberteil auf dem Bauch. Nico dachte, sie wären vielleicht eingeschlafen, weil die Sonne ja fast verschwunden war. Der Poolbereich lag schon im Schatten, und die Unterwasserbeleuchtung schimmerte unheimlich. Am Rand der Terrasse gingen flackernd die Lampen an. Der Mann vom Hotel, der Hüte und Sonnenbrillen, Sandschaufeln und Sonnencreme verkaufte, war dabei, alles in seinem kleinen Verkaufsstand zu verstauen und Feierabend zu machen.
    Der Strand war sogar noch ruhiger. Anscheinend saßen die meisten Menschen beim Abendessen oder zogen sich zum Abendessen um.
    Und dann sah sie ihn.
    Ein alter Mann im Rollstuhl saß am Ende des Plankenweges,
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