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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis
Autoren: John F. Case
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wo er sich zu einer Art Plattform verbreiterte, von der eine Treppe hinunter zum Strand führte. Er hatte einen Schal um die Schultern gelegt, und seine Augen waren auf den sich rötenden Horizont gerichtet. In der Nähe stand der jamaikanische Pfleger des alten Mannes auf das Geländer gestützt und lauschte verzückt der Musik, die aus den Kopfhörern seines Walkmans dröhnte. Reggae, dachte Nico, die den Rhythmus mitbekam, als sie vorbeiging, ein fernes, blechernes Jaulen.
    Ansonsten war so gut wie niemand da. Außer dem Jamaikaner und dem alten Mann waren nur noch ein einsamer Jogger, der an der Wasserlinie entlang über den nassen Sand lief, und ein Pärchen zu sehen. Die beiden gingen mit gebeugtem Kopf und suchten offenbar Muscheln.
    Und das war es auch schon. Alle anderen waren ... irgendwo anders. Was Nico mit Nico allein ließ, eins zu eins, und sie sah zu, wie ihr Handtuch in den Sand fiel, während sie in das warme Wasser des Golfs watete. Vor ihr schien die Sonne auf dem dunklen Rand des Horizonts zu balancieren und verlieh dem Himmel die Farbe von Millionen Ansichtskarten.
    Sie ist im Himmel, dachte Nico und sah sich selbst zu, wie sie sich durchs Wasser bewegte. Es war hier sehr seicht, bis zu einer Meile vom Strand entfernt höchstens knietief. Sie watete weiter und weiter hinaus ins Meer und konnte sich in den Augen des alten Mannes kleiner werden sehen. Schließlich wurde sie langsamer, hielt inne und sank auf die Knie. Sie lehnte sich nach hinten, stützte sich mit den Armen ab und genoss das warme Bad im Golf, lauschte dem Geschrei der Möwen, die über ihr kreisten. Sie blieb lange so, wie es ihr schien, die Augen geschlossen, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Dann drehte sie sich auf den linken Arm und richtete sich mit einer einzigen fließenden Bewegung auf, die überraschend gewirkt hätte, wenn irgendjemand anderes außer ihr sie gesehen hätte.
    Sie stapfte zurück zum Strand, hob. ihr Handtuch auf und stieg die Stufen zu der Plattform hoch. Als sie an dem alten Mann vorbeikam, lächelte sie ihm schüchtern zu, sagte zaghaft »Hallo« und ging weiter. Der Jamaikaner bemerkte sie nicht einmal. Er war tief in Bob Marley versunken, Augen geschlossen, wiegende Schultern, leise singend »No woman, no cry«.
    In dem Fußbecken direkt hinter dem Tor spülte Nico sich die Füße ab, schlüpfte in ihre Badelatschen und ging über die Terrasse zum Aufzug.
    Wieder in ihrem Zimmer nahm sie die kleine Sektflasche aus dem Kühlschrank. Dann füllte sie ein Sektglas aus dem Küchenschrank und nahm einen einzigen Schluck. Das war angenehm, dachte sie, sehr angenehm.
    Sie stellte das Glas auf den Couchtisch und holte ihren Laptop hervor. Nachdem sie ihn mit dem Telefon verbunden hatte, wartete sie, bis er hochgefahren war, dann stülpte sie den Plastiküberzug über den Bildschirm und wählte die URL an, die sie schon am Vortag (und am Tag davor) aufgerufen hatte. Sie bewegte den Mauszeiger auf das Kästchen des heutigen Tages und dann auf das für ihren Geburtstag:
    Hallo Nico
    Der Cursor blinkte lautlos.
    Sie legte die Fingerspitzen auf die Tastatur und tippte
    Bitte Foto
    Sofort erschien die Sanduhr in der Mitte des Bildschirms und schwebte dort wie ein Insekt in der Luft am Ende eines unsichtbaren Fadens. Nach einer Weile nahm ein Bild Gestalt an, Zeile für Zeile, bis das Foto eines alten Mannes zu erkennen war, desselben alten Mannes, der acht Stockwerke tiefer im Rollstuhl saß.
    Jetzt war sich Nico sicher, dass sie den richtigen Mann hatte, und sie ging zu dem zusammenklappbaren Ständer, auf dem ihr Gepäck lag. Es bestand aus einem abgewetzten ledernen Reisekoffer, in dem sie ihre Kleidung transportierte, und einem wasserdichten Schalenkoffer aus limonengrünem, stoßfestem Plastik mit einer exakt eingepassten Schaumstoffeinlage. Sie stellte die Kombination an den Zahlenschlössern des Schalenkoffers ein, ließ die Riegel aufschnappen, öffnete den Deckel und überprüfte ihre Ausrüstung.
    Eingebettet in Schaumstoffkammern lag in Einzelteile zerlegt die beste Scharfschützenausrüstung, die derzeit auf dem Markt war: ein M-24-Lauf mit Zylinderverschluss, der mit einem beruhigenden Klicken an einem kunstfaserverstärkten Fiberglasschaft mit schwarz mattierter Oberfläche einrastete, ein Leupold-Zielfernrohr und ein B-Square-Laser, eine Harris-Gabelstütze und ein in Belgien hergestellter Schalldämpfer, der auf den 50 Zentimeter .langen Gewehrlauf geschraubt wurde.
    Nico setzte die Waffe mit
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