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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis
Autoren: John F. Case
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ließen, und diese Lady, kühl wie ein Eis am Stiel in ihrem frostgrünen Sonnenkleid, war ganz sicher nicht von der Sorte.
    Nico lächelte, schob ihm einen Fünfer in die Hand und begleitete ihn zur Tür. »Danke für Ihre Hilfe«, sagte sie, als sie die Tür hinter ihm schloss. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zu ihrer Computertasche, in der sie die Medikamente aufbewahrte.
    Sie öffnete die Tasche und kramte darin herum, bis sie fand, was sie suchte — gewissermaßen. Es waren zwei kleine orangefarbene Plastikfläschchen. Das erste, in dem sich ein Monatsvorrat Lithium befand, war fast leer, obwohl sie noch drei weitere Fläschchen zu Hause in ihrem Medizinschrank hatte.
    Das zweite Fläschchen enthielt ein Medikament, das sie Placebo Nr. 1 nannte. Ein Witz — sie hatte es sogar auf das Etikett geschrieben, gleich unter die gedruckte Information: >326 Nicole Sullivan: Einnahme nach ärztlicher Anweisung<. Da das Medikament noch in der Erprobungsphase war und nicht einmal in den Staaten hergestellt wurde, hatte das Zeug keinen Namen, nur eine Nummer. Man konnte es nicht im Arzneimittelindex nachschlagen oder in einer Apotheke kaufen. Man musste es sich im Ausland kaufen oder mit der Post schicken lassen, und das tat sie auch, drei- oder viermal im Jahr, je nachdem ...
    Sie konnte sich durch das Mittel irgendwie von sich selbst distanzieren, als wäre ihr Körper ein Schauspieler in einem Stück, das sie sich als Zuschauerin ansah. Angeblich hatte das eine therapeutische Wirkung — die Möglichkeit, sich selbst so zu sehen, wie andere sie sahen. Und nicht nur das Placebo 1 versetzte sie in die Lage, außergewöhnliche Dinge zu tun. Ohne Affekt hatte sie ihren Körper und ihre Emotionen vollkommen unter Kontrolle. Jede Reaktion war angemessen und wohl überlegt (so schien es zumindest), sodass sie, wenn sie gewollt hätte, auf einem T-Träger von ihrer Suite zu dem Gebäude gegenüber hätte gehen können. Und sie hätte es auch noch genossen, weil sie, wenn sie in diesem Zustand war, auf eine Art und Weise frei war, wie es »normale Menschen« nie ganz sein konnten. Es war ein seltsamer und faszinierender Zustand.
    Und anders als beim Lithium (von dem man dick wurde, wenn man nicht aufpasste) waren die Nebenwirkungen gering. Obwohl es das Gedächtnis durcheinander bringen konnte. Von einem Moment zum nächsten, von einer Stunde zur nächsten kam sie gut zurecht, aber von einem Tag zum nächsten war es manchmal problematisch. Obwohl sie nicht recht wusste, ob das normal war oder nicht.
    Nico öffnete die Minibar, nahm eine Flasche Evian heraus. Aus jedem Fläschchen schüttelte sie sich eine Tablette in die Handfläche und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter. Dann sah sie sich ihre Suite an.
    Wie schön alles war: groß, sauber, freundlich und elegant. Nico war von allem angetan, dem Willkommenskorb mit Obst, dem schweren weißen Bademantel und der durchsichtigen Seife, dem kleinen Nähset und der kleinen Flasche Sekt, die im Kühlschrank lag.
    Nachdem sie Inventur gemacht hatte, packte sie ihre Sachen aus und verstaute sie. Sie zog sich aus und probierte die Badeanzüge und Bikinis an, die sie mitgebracht hatte, drehte und wendete sich vor den Wandspiegeln im Ankleideraum gleich neben dem Bad. Sie hatte sich schon fast für den schwarzen Badeanzug entschieden, einen klassischen, nicht zu gewagten, zog dann aber den zitronengelben Bikini an. Schließlich habe ich nichts zu verstecken, dachte sie, als sie in ein Paar Ledersandalen schlüpfte.
    Sie ging durchs Wohnzimmer auf den Balkon und stand am Geländer mit Blick auf den Strand. Direkt unter ihr war die Terrasse mit dem Swimmingpool - Jacuzzi und Poolbar, Sonnenschirme und Tische. Zwischen dem Pool und dem Golf von Mexiko schwankte eine Reihe Palmen im Wind, während das Meer weit draußen schimmerte und glitzerte.
    Plötzlich spürte sie, wie die Wirkung der Tabletten einsetzte, die Luft auf ihrer Haut sanfter wurde. Sie beugte sich über das Geländer, die Arme seitlich am Körper, und erinnerte sich schwach, dass sie Höhenangst hatte. Aber jetzt nicht. Jetzt empfand sie nichts. Sie hätte ebenso gut in ihrem eigenen Wohnzimmer stehen können.
    Unten am Strand waren Hotelmitarbeiter dabei, eine Reihe von hellblauen Umkleidezelten abzubauen und zusammenzulegen. Nico starrte wie verzaubert auf das rhythmische Muster der Brandung, die weiße Gischt, die mit einem dumpfen Brausen heranrollte und zurückwich. Hin und wieder trieb eine
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