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Gefährliches Talent: Kriminalroman

Gefährliches Talent: Kriminalroman

Titel: Gefährliches Talent: Kriminalroman
Autoren: Aaron Elkins , Charlotte Elkins
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steiles Gefälle, dreißig Meter hinunter zum Chama River, der träge mäandernd in der Sonne glitzerte. Er ging auf fünfundsechzig zurück. Immer wenn er hier entlanggefahren war, in den ganzen Jahren, hatte er sich vorgenommen, der Verkehrsbehörde vorzuschlagen, an dieser Stelle eineGeschwindigkeitsbegrenzung einzuführen. Aber natürlich hatte er es nie getan und es gab immer noch kein Tempolimit. Wahrscheinlich war das Verkehrsaufkommen hier so niedrig, dass keine Dringlichkeit bestand. Wieso auch? Zwischen hier und dem Colorado River gab es fast nichts außer der Ghost Ranch …
    Als er um eine der vielen Kurven fuhr, kam ihm ein Pick-up entgegen, noch circa vierhundert Meter entfernt. Nein, kein Pick-up … Es war das Führerhaus eines riesigen Sattelschleppers. Er war ein bisschen beunruhigt, denn das Ding war unheimlich breit und die Stelle ziemlich schmal. Nervös blickte er nach rechts und suchte nach einer Ausweichmöglichkeit, aber da war nichts, nur die beängstigend nahe Felskante. Er wurde noch langsamer und sah erstaunt, wie das entgegenkommende Fahrzeug über die Mittellinie auf die falsche Straßenseite fuhr und direkt auf ihn zusteuerte.
    Er drückte kräftig und lange auf die Hupe. Der Lastwagen reagierte nicht etwa durch Wechseln der Fahrspur, sondern mit einem schrillen, wütenden Trompeten seines Lufthorns. Henry hatte den Eindruck, als würde der Laster immer schneller. Er war nur noch knapp hundert Meter entfernt. Was zum Teufel war denn mit dem Fahrer los? War er betrunken? Sollte das etwa irgendein verrücktes Spiel sein? Er überlegte, auf die Bremse zu treten, aber dazu war es zu spät. Der Laster steuerte geradewegs auf ihn zu wie eine Lenkrakete. Er würde den Toyota mit Leichtigkeit von der Straße und über die Felskante schieben. Henry blieb nichts anderes übrig, als selbst auf die falsche Straßenseite auszuweichen.
    Er schwenkte nach links und war total verdutzt, als er seitlich einen
anderen
Laster rammte. Nein, keinen Laster. Es war der Pick-up vom Rastplatz. Wo in Teufels Namen kam der denn plötzlich her? Er hatte ihn nicht hinter sich herfahren sehen. Instinktiv versuchte er weiter, nach links zu steuern, aber der kleine Kompaktwagen hatte gegen den großen, schweren Pick-up keine Chance. Der ließ sich nicht abdrängen, hielt Schritt und drängte ihn in Richtung Felskante. Seine Augen waren mit der Seitentür des Pick-ups auf einer Höhe; auf der Tür das Bild eines Mädchens im Bikini, von einem Flammenkreis umgeben … »Bimbi«.
    Der Pick-up schlenkerte näher heran, schabte am Toyota entlang und stieß ihn auf die Felskante zu.
    »Halt! Was machen Sie denn da?«, schrie er. Sein Herz hämmerte in seiner Kehle. Es pochte in seinen Schläfen. »Sind Sie wahnsinnig?« Der Lastwagen aus der Gegenrichtung war jetzt keine fünfzig Meter mehr entfernt, zu nah, um abzubremsen und einen Zusammenstoß zu verhindern, und ohne eine Möglichkeit, die Spur zu wechseln, denn auf der anderen fuhr der Pick-up. Er hielt mit aller Kraft das Lenkrad fest, aber ein weiterer kräftiger Stoß des Pick-ups zwang ihn noch dichter an den Abgrund. Es war schwierig zu … Er musste …
    Sein Verstand fing an zu flattern, sich zu verabschieden, ihn im Stich zu lassen. Er konnte nicht mehr richtig denken …
    »Ahh!« Plötzlich schnürte es ihm die Brust zu wie mit einem strammen Gürtel, seine Rippen wurden eingedrückt und seine Lungen kollabierten. Fahrzeuge, Straße, Fluss … alles verschwand hinter einem roten Film. Er bekam noch mit, wie die Reifen die Fahrbahn verließen und sich weiterdrehten. Er wartete angespannt auf den Sturz, aber er nahm ihn nicht mehr wahr. Es kam ihm vor, als hinge der Wagen bewegungslos schwebend in Raum und Zeit. Der Film ging von Rot in Schwarz über.
    Ruthie.

KAPITEL 1
    Seattle, 5. Oktober 2010
    Die Eigentumswohnung im dreizehnten Stock des Hauses in Belltown, einem schicken Viertel von Seattle, bot eine umwerfende Aussicht: Der Puget Sound funkelte im fahlen Sonnenlicht des Nordwestens, grün-weiße Fähren glitten wie Spielzeugboote auf ihrem Weg nach Bainbridge Island oder zur Stadt aneinander vorbei, und in der Ferne thronten die gletscherbewehrten Gipfel der Olympic Mountains.
    Alix London saß beim Fenster, ohne dieses grandiose Spektakel zu beachten. Ihr Blick, ihre ganze Aufmerksamkeit, jede Faser ihres Seins waren auf das zehn Quadratzentimeter große Segment einer Leinwand konzentriert, auf dem der untere Teil einer Gartenmauer zu sehen
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