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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis
Autoren: Amanda Cross
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Wartezimmer sitzt und irgendeinen Ton aus dem Behandlungszimmer hört, dann würde er doch den Schluß ziehen, daß man auch ihn hören könnte, und das hätte schlimme Auswirkungen, würde ihn blockieren. Also entschied Emanuel sich für Schallschutz – ich glaube, das tun die meisten Psychiater –, und dann hat er sich im Wartezimmer auf jeden nur möglichen Stuhl gesetzt, während ich drinnen auf der Couch: lag und schrie ICH LIEBE MEINE M UTTER UND HASSE MEINEN V ATER, immer wieder, obwohl die Patienten natürlich nicht schreien und so etwas auch nie sagen würden, aber wir mußten sichergehen, und Emanuel hat wirklich nichts gehört.«
    »Laß uns mal einen Zeitsprung machen, Nicki. Wir steigen wieder ein um zwölf Uhr, als du die Leiche fandest. Wieso du? Gehst du gewöhnlich in Emanuels Praxis?«
    »Während des Tages eigentlich nie. Am Abend gehe ich hinein, staube ab und leere die Aschenbecher, weil Pandora dazu eigentlich keine Zeit hat, und im Sommer sitzen wir manchmal am Abend dort, bevor wir ausgehen, weil es der einzige Raum mit Klimaanlage im Haus ist. Aber tagsüber geht niemand auch nur in die Nähe. Wir bemühen uns sogar, nicht allzu oft hin und her zu laufen, wenn ein Patient im Wartezimmer sitzt, obwohl Emanuel sie daran gewöhnt hat, die Tür zum Flur hinter sich zu schließen, so daß sie uns im Grunde nie sehen könnten, außer, wenn sie gerade kommen oder gehen. Ich weiß, viele Psychiater mißbilligen es, wenn ein Analytiker seine Praxis im eigenen Haus hat, aber sie machen sich nicht klar, wie wenig die Patienten von dem bemerken, was um sie vor sich geht. Obwohl Emanuels Patienten wahrscheinlich annehmen, daß er verheiratet ist, hat mich erst einer in all den Jahren gesehen, und der hat mich wohl für eine andere Patientin gehalten. Von den Kindern hat, glaube ich, überhaupt noch niemand etwas bemerkt. Die Praxis ist für sie absolut verboten, und auch ich gehe nicht öfter hinein, als ich es tun würde, wenn Emanuel seine Praxis woanders hätte, wahrscheinlich sogar seltener.«
    »Angenommen, du mußt tagsüber etwas mit ihm besprechen?«
    »Wenn es nichts Wichtiges ist, warte ich, bis er nach hinten in die Wohnung kommt, was er häufig zwischen zwei Patienten tut. Ist es eilig, telefoniere ich mit ihm. Er hat in der Praxis natürlich ein eigenes Telefon.«
    »Aber gestern bist du um zwölf Uhr in seine Praxis gegangen.«
    »Nein, nicht um zwölf. Ich bin gewöhnlich vor halb eins gar nicht zu Hause, obwohl es gestern ein bißchen früher war. Manchmal treffe ich mich auch mit jemandem zum Lunch oder fahre in die Stadt, und dann komme ich erst am frühen Nachmittag zurück. Aber gestern – Gott sei Dank, nehme ich an, Gott sei Dank – bin ich früher nach Hause gekommen. Als ich ins Haus kam, hat der Zwölf-Uhr-Patient…«
    »Kanntest du ihn?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Ich meine, ich habe erst nachher erfahren, daß er der Zwölf-Uhr-Patient war, und der steckte also seinen Kopf zum Flur herein und fragte mich, ob der Doktor heute keine Patienten empfange. Es war fünfundzwanzig Minuten vor eins, und der Therapeut hatte ihn nicht hereingeholt. Weißt du, Kate, das war schon sehr eigentümlich. Emanuel hat noch nie in seinem Leben einen Patienten versetzt. Ich wußte, daß er um elf Uhr eine Patientin hatte (Janet Harrison), und er geht niemals in den zehn Minuten bis zum nächsten Patienten aus dem Haus. Ich habe mich natürlich gefragt, was mit ihm passiert sein könnte. Saß er womöglich in seinem Sprechzimmer und fühlte sich, aus welchem Grund auch immer, nicht fähig, einen Patienten zu empfangen? Ich rief von der Küche aus in der Praxis an, und nach dreimaligem Läuten meldete sich der Auftragsdienst, also wußte ich nun, er war nicht da oder antwortete nicht, und da fing ich an, mir Sorgen zu machen. Inzwischen hatte ich den Patienten wieder ins Wartezimmer zurückkomplimentiert. Natürlich ging mir alles mögliche durch den Kopf, von Emanuel mit Herzattacke im Behandlungsraum bis zu der Befürchtung, er hätte seine Elf-Uhr-Patientin noch nicht loswerden können – man hat die seltsamsten Phantasievorstellungen bei solchen Gelegenheiten –, Pandora war mit den Jungen in der Küche zum Lunch, und ich ging und klopfte an die Tür des Behandlungsraumes. Ich wußte, der Patient im Wartezimmer verfolgte, was ich jetzt unternahm, obwohl er mich nicht sehen konnte, aber ich mußte irgendwas tun, und natürlich reagierte niemand auf mein
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