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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis
Autoren: Amanda Cross
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daß es gerade gar nichts gab, wovor man hätte Angst haben müssen. Soll heißen: nichts Rationales. Zum Beispiel, hatte Nicki erklärt, könnte ein Mensch eine Angstattacke in einem Fahrstuhl bekommen, er würde dann eine furchtbare Angst davor bekommen, daß der Fahrstuhl abstürzen könnte; aber auch wenn man ihm mit absoluter Sicherheit beweisen könnte, daß ein Absturz des Fahrstuhls gar nicht möglich wäre, und er selber auch genau wissen mochte, daß er nicht abstürzen könnte, würde ihm das alles nicht gegen seine Angstattacke helfen. Kate hatte auch begriffen, daß das Opfer dieser Angstattacke sich nicht schon einmal in einem abstürzenden Fahrstuhl befunden haben oder jemanden kennen mußte, dem das schon einmal passiert war, genausowenig mußte seine Angst überhaupt etwas mit Fahrstühlen zu tun haben. Nickis Angstattacken hatten nichts mit Fahrstühlen zu tun – eigentlich schade, schließlich wohnte sie doch im Parterre –, hingen aber offensichtlich mit öffentlichem Verkehr zusammen. Nicht zum erstenmal ging Kate durch den Kopf, daß sie zwar zutiefst beeindruckt vom Genius Freuds war, das ineffektive Herumtasten, diese Mischung aus Verwirrung und Doktrin, die die klinische Psychoanalyse heute charakterisierte, sie jedoch absolut kalt ließen. Der Haken dabei war unter anderem, daß Freud, käme er heutzutage wieder auf die Erde zurück, noch immer der beste Psychiater von allen wäre. Einstein begriff, bevor er starb, nicht mehr, mit welchen Problemen sich die Physik beschäftigte, und so, dachte Kate, sollte es auch sein. Die Psychiatrie hatte mit Freud begonnen und schien weitgehend damit auch schon an ihrem Ende angekommen zu sein; aber vielleicht war es noch zu früh für solche Urteile.
    »Ich bin gestern genau um halb elf aus dem Haus gegangen«, sagte Nicki.
    »Währenddessen hatte Emanuel Patienten in seiner Praxis.«
    »Ja. Zwischen dem Neun- und dem Zehn-Uhr-Patienten kam er nach hinten in die Wohnung, um mir guten Morgen zu wünschen und auf die Toilette zu gehen. Da war noch alles in Ordnung. Dann habe ich ihn nicht mehr gesehen bis…«
    »Einen Augenblick, Nicki. Laß uns das ganz gründlich klären. Um halb elf war Emanuel mit einem Patienten in seiner Praxis (das war, nebenbei bemerkt, derjenige, den er auf den Nachmittag verlegen wollte – ob das hier eine Bedeutung hat? Ich frage mich, ob er das Mädchen kannte), Pandora war mit den Kindern ausgegangen, und du warst unterwegs zu deinem Termin um elf und einigen Besorgungen. Als du die Wohnung verließest, war also außer Emanuel und seinem Patienten niemand in der Wohnung, und die beiden waren in der Praxis?«
    »Ja. Es klingt ein bißchen dramatisch, sicher, aber das ist haargenau die Wahrheit. Die Polizei schien sich für all das auch sehr zu interessieren.«
    »Jeder, der den Haushalt beobachtet hätte, konnte also wissen, daß es so ablaufen würde, und zwar unvermeidlich, es sei denn, jemand wäre krank oder es regnete?«
    »Ja. Aber wer hätte ein Interesse daran, unsere Wohnung zu beobachten? Siehst du, Kate, das ist der springende Punkt.«
    »Nicki, bitte. Laß uns noch einen Augenblick bei dem zeitlichen Ablauf bleiben. Um elf mußte dann das Mädchen, Janet Harrison, kommen, und der Patient vor ihr wäre schon weg. Du wärest bei deinem Analytiker, die Kinder und Pandora im Park, und für eine Stunde würde sich da auch nichts mehr ändern?«
    »Für fünfzig Minuten jedenfalls. Du weißt, die Behandlungsstunde dauert fünfzig Minuten. Die Patienten gehen zehn Minuten vor der vollen Stunde, und die nächste Sitzung beginnt dann pünktlich. Aber du siehst das Problem, das die Polizei hat. Ich meine, man kann sich in ihre Sichtweise hineindenken, auch wenn man weiß, daß jemand wie Emanuel nicht hingeht und seine Patientin in seiner eigenen Praxis auf seiner eigenen Couch niedersticht. Die ganze Idee ist einfach verrückt. Er war da, oder zumindest glauben sie, daß er da war, obwohl er natürlich nicht da war, sie glauben also, er war da, in seiner schalldichten Praxis, zusammen mit einem Mädchen, sonst niemand in der Nähe, und er behauptet, jemand anders sei hereingekommen, habe sie auf der Couch erstochen, und er sei gar nicht dagewesen. Aus ihrer Sicht, nehme ich an, klingt das reichlich faul, gelinde ausgedrückt. Natürlich, Emanuel hat ihnen eindeutig erklärt, daß…«
    »Warum ist der Raum übrigens schalldicht?«!
    »Wegen der inneren Ruhe, die ein Patient braucht. Wenn ein Patient draußen im
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