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Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)

Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)

Titel: Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
Autoren: Audrey Braun
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ich. »Könntest du dich bitte auf das Nötigste beschränken?«
    »Wie?« Plötzlich scheinen die Kopfhörer zu verhindern, dass er mich versteht.
    »Kannst du dich bitte auf ein Minimum beschränken?«, wiederhole ich so laut, dass man es wahrscheinlich bis auf die Straße hören kann.
    »Was auch immer«, entgegnet er.
    »Hör auf mit deinem
Was auch immer
! Schränk dich ein oder ich nehme das Telefon an mich.«
    Es gibt Momente wie diesen, da fallen wir wieder in unsere alten Rollen von Kleinkind und überforderter Mutter zurück. Sofort erscheint die Erinnerung an diese frühe Zeit mit rasiermesserscharfer Klarheit vor meinem inneren Auge. Als ich nur auf die Mittagsstunden zu lebte, in denen Oliver etwas schlief und ich aus dem Erkerfenster auf den Fächerahorn starren und ein bisschen nachdenken konnte.
Denken.
Manchmal dachte ichmir Metaphern für die Dinge im Garten aus und stellte mir vor, womit Joella Lundstrum wohl die blutroten Blätter des Ahorns im Sonnenlicht vergleichen würde. Mit Glasmalerei? Oder mit … wie hieß das noch? Krepppapier? Laub aus blutrotem Krepppapier? Metaphern lagen mir oft auf der Zunge, ohne dass ich sie wirklich formulieren konnte. Meine Gehirnzellen waren mit Hormonen getränkt, was dazu dienen sollte, dass sich meine Welt ausschließlich auf meinen knapp ein Meter großen Sohn beschränkte. Mein gesamtes Vokabular bestand nur noch aus der ersten Person Plural:
Nein, das tun wir nicht; wollen wir einen Keks? Wir schreien nicht, wenn wir hier drinnen sind; wir essen zuerst auf; nein, das tun wir nicht; wollen wir in den Park gehen? Wir sagen bitte; wir benutzen Worte; haben wir nicht darüber gesprochen, dass wir sagen wollen, was wir möchten?
Doch es gab die täglichen Ausnahmen, wenn diese Blase, in der wir lebten, riss und sich sowohl die erste als auch die zweite Person Singular wie kleine Bolzenschneider hereindrängten und die Ketten, die uns verbanden, einfach durchknipsten:
Wenn du das noch einmal machst, nehme ich es dir weg, und wenn ich es dir wegnehme, wirst du es nie wieder sehen, hast du mich verstanden? Und wenn du mich verstanden hast, musst du schon ja sagen oder zumindest mit deinem kleinen Sturkopf nicken!
Aber immer, immer konnte ich mich gerade noch zurückhalten, bevor mir
Du kleiner Scheißer
rausrutschte. Zu dieser Zeit fing ich an, mit Seth zu schlafen.
    Oliver klappt sein Handy zu und wirft es mit Schwung aufs Sofa.
    »Danke. Ich lege mich eine Minute hin«, sage ich.
    Er schüttelt den Kopf, als sei das der dämlichste Satz, der jemals auf Englisch formuliert worden ist.
    »Ich habe Hunger«, sagt er.
    Ich verdrehe die Augen und gehe ins Schlafzimmer. Das Erste, was mir auffällt, sind meine Sachen, die immer noch auf einem Haufen am Boden liegen, so wie ich sie zurückgelassen habe. Direkt daneben steht Jonathons noch nicht ausgepackter Koffer. Was genau hatte er eigentlich »eingeräumt«? Ich öffne seinen Koffer, schlage einige Lagen seiner Sachen zurück und entdecke Kleidung für kühles Wetter – Pullover, Socken und Hosen. Ganz unten am Boden liegt seine Daunenjacke. Ich habe sie ihn nur einmal tragen sehen, auf dem Mount Hood, im Schnee.

3
    Ich bin entschlossen, es mir gut gehen zu lassen. Mexiko. Sonne. Dreißig Grad. Ich will mich einfach entspannen, mich von allem befreien, was mich in letzter Zeit im Würgegriff gepackt zu haben schien. Ich bin mir sicher, Jonathon wird schon einen guten Grund dafür haben, seine Wintersachen einzupacken. Manchmal ist er ein bisschen exzentrisch. Er ist der Typ Mensch, der zwei Decken, extra Servietten und echtes Silberbesteck mitnimmt, auch wenn wir nur mal eben kurz picknicken wollen. Er plant alles sehr genau, ein vorsichtiger Mann, der dazu neigt, immer auf das Schlimmste vorbereitet zu sein.
    Aber all das ist jetzt egal, denn als ich aufwache und unter die Dusche gehe, bessert sich Olivers Laune gerade und Jonathon hat Hühnchen mit Bohnen geholt und Margaritas gemixt und wir drei sitzen stundenlang unter dem nachtblauen Himmel auf dem Balkon, lachen und spielen Poker. Ich bin so erleichtert, derart viel Spaß mit meiner Familie zu haben, dass ich, als ich schließlich mit Jonathon allein im Bett liege, ihm einen Kuss auf die Wange gebe und innerhalb von Sekunden an ihn geschmiegteinschlafe, während draußen die Grillen zirpen und irgendwo in der Ferne eine Frau zur Gitarre singt.
    Am nächsten Morgen stehe ich noch vor den anderen auf, um am Strand joggen zu gehen. Auf dem Weg durch die Küche
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