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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte
Autoren: Haruki Murakami
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Das ist ein großer Unterschied, und ich wüßte es schon gern genau.«
    »Ich möchte nicht, daß du es spielst«, sagte ich.
    »Gefällt dir nicht, wie ich es spiele?«
    »Damit habe ich keine Probleme. Du spielst es großartig. Es gibt nicht viele Musiker, die mit diesem Stück so umgehen können wie du.«
    »Dann ist es das Stück selbst, das du nicht mehr hören willst?«
    »So kann man es sagen«, erwiderte ich.
    »Klingt für mich ein bißchen nach Casablanca«, sagte er. »Ist wohl so«, sagte ich.
    Seitdem spielt der Pianist gelegentlich, wenn er mich sieht, ein paar Takte von »As Time Goes By«.
    Daß ich das Stück nicht mehr hören wollte, hatte nichts mit Erinnerungen an Shimamoto zu tun. Der Song gab mir einfach nicht mehr, was er mir früher einmal gegeben hatte. Warum, kann ich nicht sagen. Das besondere Etwas, das ich vor Ewigkeiten in dieser Melodie entdeckt hatte, war nicht mehr da. Es war immer noch eine schöne Ballade, aber eben nicht mehr als das. Und ich hatte nicht die Absicht, mich an den Leichnam eines schönen Songs zu klammern. »Woran denkst du?« fragte mich Yukiko, als sie ins Zimmer kam.
    Es war nachts um halb drei. Ich lag auf dem Sofa und starrte an die Decke.
    »An eine Wüste«, sagte ich.
    »An eine Wüste?« Sie hatte sich ans Fußende gesetzt und sah mich an. »Was denn für eine Wüste?«
    »Nur eine ganz normale Wüste. Mit Sandhügeln und ein paar Kakteen. Da ist eine Menge los, eine Menge Leben.«
    »Komme in dieser Wüste auch ich vor?« fragte sie.
    »Natürlich«, sagte ich. »Wir alle leben dort. Aber im Grunde ist es die Wüste selbst, die lebt. Wie in dem Film.«
    »In welchem Film?«
    »In dem Disney-Film Die Wüste lebt. Einem Dokumentarfilm über die Wüste. Hast du den als Kind nicht gesehen?«
    »Nein«, sagte sie. Das wunderte mich ein bißchen. Zu meiner Grundschulzeit waren wir klassenweise ins Kino getrieben worden, um ihn zu sehen. Aber Yukiko war fünf Jahre jünger als ich. Vielleicht war sie noch zu klein gewesen, als der Film herausgekommen war.
    »Wollen wir uns am nächsten Wochenende das Video besorgen und es uns alle zusammen ansehen? Es ist ein guter Film. Die Landschaftsaufnahmen sind umwerfend, und man sieht alle möglichen Tiere und Blumen. Den Mädchen gefällt er bestimmt.«
    Yukiko lächelte mich an. Ich hatte sie entsetzlich lange nicht mehr lächeln sehen.
    »Willst du mich verlassen?« fragte sie.
    »Yukiko, ich liebe dich«, sagte ich.
    »Das mag sein, aber ich frage dich, ob du mich verlassen willst. Die Antwort lautet entweder ja oder nein. Eine andere akzeptiere ich nicht.«
    »Ich will dich nicht verlassen«, sagte ich. Ich schüttelte den Kopf. »Vermutlich habe ich nicht das Recht, das zu sagen, aber ich will dich nicht verlassen. Ich weiß nicht, was aus mir würde, wenn ich dich jetzt verließe. Ich will nie wieder einsam sein. Lieber würde ich sterben.«
    Sie streckte eine Hand aus und legte sie mir auf die Brust. Und sah mir tief in die Augen. »Vergiß das mit dem Recht. Ich glaube, niemand hat ein Recht von dieser Art«, sagte sie.
    Als ich die Wärme ihrer Hand auf meiner Brust spürte, dachte ich an den Tod. Ich hätte an diesem Tag leicht zusammen mit Shimamoto auf der Autobahn sterben können; dann würde mein Körper nun nicht mehr existieren. Ich wäre nicht mehr da, für immer verloren. Wie so viele andere Dinge. Aber hier bin ich. Und hier ist Yukikos warme Hand auf meiner Brust.
    »Yukiko«, sagte ich, »ich liebe dich sehr. Ich habe dich vom allerersten Tag an geliebt, und so ist es geblieben. Wenn ich dir nicht begegnet wäre, hätte ich mein Leben nicht ertragen. Dafür bin ich dir unsäglich dankbar. Und dennoch tue ich dir weh. Weil ich ein egoistischer, hoffnungsloser, wertloser Mensch bin. Ohne ersichtlichen Grund tue ich den Menschen, die mir nahestehen, weh und damit letztlich mir selbst. Ich zerstöre das Leben eines anderen und mein eigenes dazu. Nicht, weil ich es möchte, aber darauf läuft es hinaus.«
    »Da sind wir einer Meinung«, sagte Yukiko leise. An ihren Mundwinkeln waren noch Spuren ihres Lächelns zu sehen.
    »Du bist eindeutig ein egoistischer, hoffnungsloser Mensch, und ja, du hast mir weh getan.«
    Ich sah sie eine Zeitlang an. Ihre Worte schienen keinen Vorwurf zu enthalten. Sie war weder wütend noch traurig; sie stellte lediglich das Offenkundige fest.
    Ich antwortete langsam, bemüht, die richtigen Worte zu finden. »Für mein Gefühl versuche ich unentwegt, jemand anders zu werden,
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