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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte
Autoren: Haruki Murakami
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nie wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück, hätte sie mir gewiß gesagt. Wenn ich mitten in der Nacht auf meinem Sofa lag, konnte ich ihre Stimme diese Worte sagen hören. Wie du selbst gesagt hast - es wäre wunderschön, wenn wir beide zusammen fortgehen und irgendwo ganz von vorn anfangen könnten. Leider komme ich da, wo ich bin, nicht wieder heraus. Es ist schlechthin unmöglich.
    Und dann war Shimamoto wieder ein sechzehnjähriges Mädchen, das in einem Garten vor Sonnenblumen stand und scheu lächelte. Ich hätte damals wirklich nicht in deine Bar kommen dürfen. Das war mir von Anfang an klar. Ich wußte von vornherein, daß es so enden würde. Aber ich konnte nicht anders. Ich mußte dich einfach sehen, und als ich dich sah, mußte ich mit dir sprechen. Hajime - so bin ich. Ich tue es nicht mit Absicht, aber alles, was ich berühre, geht am Ende in die Brüche.
    Ich würde sie nie wiedersehen, außer in der Erinnerung. Sie war hier, und nun ist sie fort. Dazwischen gibt es nichts. Wahrscheinlich ist ein Wort, das man vielleicht südlich der Grenze finden kann; niemals aber westlich der Sonne.
    Jeden Tag suchte ich die Zeitungen nach Meldungen über Selbstmorde von Frauen ab. Eine Menge Leute brachten sich um, stellte ich fest, aber immer war es jemand anders. Soweit ich wußte, war diese schöne siebenunddreißigjährige Frau mit dem bezauberndsten Lächeln der Welt noch immer am Leben. Auch wenn sie mich für immer verlassen hatte. Nach außen hin verliefen meine Tage wie immer. Ich fuhr die Mädchen in den Kindergarten und wieder nach Hause und sang unterwegs mit ihnen Kinderlieder. Manchmal entdeckte ich in der Reihe von Autos, die vor dem Kindergarten warteten, die junge Frau im 260E, und wir wechselten ein paar Worte. Mit ihr zu reden half mir zu vergessen - wenigstens für eine Weile. Unsere Gesprächsthemen waren so begrenzt wie immer. Wir tauschten die letzten Neuigkeiten aus Aoyama, Tips zu Naturkostprodukten, Mode. Das Übliche.
    Auch bei der Arbeit lief alles wie gewohnt. Jeden Abend zog ich meinen Anzug an und ging in die Bars, plauderte mit den Stammgästen, hörte mir die Ansichten und Klagen des Personals an und dachte an Kleinigkeiten, wie etwa an ein Geburtstagsgeschenk für einen Angestellten. Ich lud Musiker, die zufällig vorbeikamen, zum Abendessen ein, kostete die Cocktails, um sicher zu sein, daß sie meinen Ansprüchen genügten, vergewisserte mich, daß das Klavier gestimmt war, hielt die Augen nach aggressiven Betrunkenen offen - ich tat meinen Job. Auftretende Probleme löste ich im Nu. Alles lief wie ein Uhrwerk, nur die Spannung war dahin. Von außen betrachtet, war ich derselbe wie immer; ja, ich war sogar leutseliger, freundlicher, gesprächiger als je zuvor. Aber wenn ich auf meinem Barhocker saß und mich im Lokal umsah, erschien mir alles eintönig und glanzlos. Kein liebevoll gestaltetes, farbenfrohes Luftschloß mehr: was vor mir lag, war schlicht eine geräuschvolle Bar - künstlich, oberflächlich und schäbig. Eine Bühnendekoration, eine Kulisse, ausschließlich zu dem Zweck errichtet, Säufern das Geld aus der Tasche zu locken. Jede anderslautende Illusion war verpufft. Und alles nur, weil Shimamoto diese Räume nie wieder mit ihrer Anwesenheit schmücken würde. Nie wieder würde sie an der Theke sitzen; nie wieder würde ich sie lächeln sehen, wenn sie sich einen Drink bestellte.
    Auch an meinem Leben zu Hause veränderte sich nichts. Ich aß mit meiner Familie zu Abend, und sonntags ging ich mit den Mädchen spazieren oder in den Zoo. Yukiko ging mit mir um wie immer, zumindest dem Anschein nach. Wir redeten über alle möglichen Dinge. Wir lebten nebeneinander her wie langjährige Freunde, die zufällig unter demselben Dach wohnen. Es gab bestimmte Worte, die wir nicht aussprechen konnten, bestimmte Tatsachen, die wir uns nicht eingestanden. Aber von offener Feindseligkeit war nichts zu spüren. Wir berührten einander nur nicht. Nachts schliefen wir jeder für sich - ich auf dem Sofa, Yukiko in unserem Schlafzimmer. Nach außen hin war das die einzige Veränderung in unserem Leben.
    Manchmal ertrug ich es nicht mehr, wie wir die Form wahrten, die uns zugeteilten Rollen spielten. Etwas für uns Wesentliches war dahin, und doch machten wir weiter wie gehabt. Ich fühlte mich abscheulich. Dieses leere, bedeutungslose Leben kränkte Yukiko zutiefst. Ich wollte ihr eine Antwort auf ihre Frage geben, aber ich war dazu nicht imstande. Natürlich wollte ich sie nicht
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