Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
nicht wütend. Ich sollte es sein, aber ich bin's nicht. Ich empfinde nur Schmerz. Einen gewaltigen Schmerz. Ich dachte immer, ich könnte mir vorstellen, wie weh das tun würde, aber ich habe mich getäuscht.«
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Wenn du mich verlassen willst, in Ordnung. Ich werde nichts dagegen sagen. Willst du mich verlassen?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Darf ich dir erklären, was passiert ist?«
    »Du meinst, mit dir und dieser Frau?«
    »Ja.«
    Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Ich will nichts über sie hören. Laß mich nicht noch mehr leiden, als ich schon gelitten habe. Es ist mir gleichgültig, was für eine Beziehung ihr miteinander habt oder was für Pläne ihr geschmiedet habt. Ich will nur wissen, ob du mich verlassen willst. Ich brauche das Haus nicht, auch kein Geld oder sonstwas. Wenn du die Kinder haben willst, nimm sie. Das ist mein Ernst. Wenn du mich verlassen willst, brauchst du es nur zu sagen. Das ist alles, was ich wissen will. Sonst will ich nichts hören. Nur ja oder nein.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Du meinst, du weißt nicht, ob du mich verlassen willst?«
    »Nein. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt imstande bin, dir eine Antwort zu geben.«
    »Wann wirst du das wissen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Na gut, dann denk in Ruhe darüber nach.« Sie seufzte. »Ich kann warten. Laß dir soviel Zeit, wie du möchtest.« Von dieser Nacht an schlief ich auf dem Sofa im Wohnzimmer. Manchmal standen die Mädchen mitten in der Nacht auf und fragten mich, warum ich da schliefe. Ich erklärte ihnen, ich würde neuerdings so laut schnarchen, daß ihre Mutter und ich beschlossen hätten, in getrennten Zimmern zu schlafen, sonst käme Mama überhaupt nicht mehr zum Schlafen. Eins der Mädchen kuschelte sich dann immer neben mich aufs Sofa, und ich schloß es fest in die Arme. Manchmal hörte ich Yukiko im Schlafzimmer weinen.
    Während der nächsten beiden Wochen verbrachte ich jeden Tag damit, endlos Erinnerungen neu zu durchleben. Jedes Detail der Nacht, die ich mit Shimamoto verbracht hatte, beschwor ich mir herauf, und dann versuchte ich, ihm eine Bedeutung zu entlocken, eine Botschaft darin zu entdecken. Ich erinnerte mich an Shimamotos Wärme an meiner Brust. An ihre Arme, die aus den Ärmeln ihres weißen Kleids hervorgesehen hatten. An die Nat-King-Cole-Songs, das Feuer im Ofen. Jedes einzelne Wort, das sie in jener Nacht gesprochen hatte, rief ich mir in Erinnerung.
    Aus der Fülle der Worte, diese aus ihrem Mund: Mit mir gibt es kein Dazwischen. Es gibt keine Zwischendinge, und wo es solche Dinge nicht gibt, existiert auch kein Dazwischen.
    Und diese Worte aus meinem Mund: Ich habe mich schon entschieden, Shimamoto-san. Ich habe darüber nachgedacht, während du verschwunden warst, und ich habe meine Entscheidung getroffen.
    Ich erinnerte mich an ihre Augen, als sie im Auto zu mir herübergesehen hatte. Dieser starre, glühende Blick hatte sich in meiner Wange eingebrannt. Es war mehr als ein bloßer Blick gewesen; der Geruch des Todes hatte sie umschwebt. Sie hatte vorgehabt zu sterben. Deswegen war sie nach Hakone mitgekommen - um zu sterben, gemeinsam mit mir.
    »Und ich werde dich ganz nehmen. Verstehst du das?
    Verstehst du, was das bedeutet?«
    Shimamoto hatte mein Leben gewollt, als sie das gesagt hatte. Erst jetzt verstand ich.
    Ich war zu einer endgültigen Entscheidung gelangt, und sie ebenso. Wie hatte ich nur so blind sein können? Nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht hätte sie auf der Rückfahrt nach Tokio das Lenkrad des BMW herumgerissen und uns beide getötet. Das hatte sie vorgehabt. Sie hatte keine andere Möglichkeit mehr gesehen. Aber irgend etwas hatte sie zurückgehalten. Und ohne ein Sterbenswort zu sagen, war sie verschwunden.
    An welchem Abgrund der Verzweiflung war sie angekommen? Warum? Und wichtiger noch, wer hatte sie in eine solche Verzweiflung getrieben? Und schließlich: warum war der Tod für sie der einzig mögliche Ausweg gewesen? Ich spielte Detektiv und tastete nach Indizien, griff aber immer nur ins Leere. Sie war einfach verschwunden, samt ihren Geheimnissen. Kein Wahrscheinlich, kein eine Zeitlang diesmal – still und heimlich hatte sie sich davongeschlichen. Unsere Körper hatten sich vereint, und doch hatte sie sich am Ende geweigert, mir ihr Herz zu öffnen.
    Wenn sich bestimmte Dinge erst in Bewegung gesetzt haben, Hajime, können sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher