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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt
Autoren: Simone Olmesdahl
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kein bisschen gealtert. Die Augen des Mannes bereiteten noch heute vielen Begabten große Furcht. Es waren die Augen aus den Albträumen, die Augen, die niemand von ihnen jemals vergessen hatte. Jonathan Fingerless, ein Mörder. Seine Familie hatte über tausend Talente gestohlen und genauso viele Menschen getötet, wenn nicht mehr.
    Eva fasste sich ein Herz.
    Sie wusste, was geschehen würde. Er würde auch sie umbringen. Aber sie würde nicht als wehrloses, wimmerndes Opfer sterben. Die Genugtuung wollte sie ihm nicht geben, auch wenn sie keine Chance hatte, mit dem Leben davonzukommen. »Ich habe Abschaum vor mir.« Eva hielt dem Blick des Magiers stand.
    Jonathan Fingerless lachte auf. »Abschaum? Ich muss gestehen, man hat mich schon schlimmer genannt.«
    »Sie werden euch kriegen, Jonathan. Dich und deine Sippschaft. Sie werden euch jagen und dahin zurückverbannen, wo ihr hingehört.«
    »Ihr Menschen seid Narren, Eva. Ihr glaubt, ihr könnt euch mit uns messen? Das ist absolut lächerlich.«
    »Wir haben euch schon einmal besiegt. Der Beirat wird nicht tatenlos zusehen, wie ihr unsereins abschlachtet.«
    »Euer Beirat ist ein Witz! Sie schicken euch in den Kampf und haben selbst keinen Mumm in den Knochen. Wir halten uns nicht an eure Gesetze. Und wenn ihr uns schon einmal besiegt hättet, dann sag mir, teure Eva, wie kann es sein, dass ich hier vor dir stehe?«
    Wut stieg in Eva auf, verwandelte Angst in Zorn. »Wenn ihr so stark seid, wozu braucht ihr dann unsere Gaben? Ihr fürchtet euch doch vor uns!«
    Der Magier zog eine Augenbraue hoch. »Vielleicht könntet ihr uns gefährlich werden. Aber solange ihr euch an die Gesetze haltet, habt ihr nicht den Hauch einer Chance. Du bist dumm, Eva, und zugleich mutig. Ich werde es deshalb schnell tun, denn ich habe eine Leidenschaft für Mut. Du weißt, dein Wissen ist tödlich, ich kann dich nicht verschonen.«
    Eva fürchtete sich nicht vor dem Tod. Er war Bestandteil ihres Lebens, Schatten und Jenseits ein Teil von ihr. Das Sterben allerdings konnte grausam werden. Sorge und Traurigkeit fraßen sich in ihr Herz. Was sollte aus Anna werden? Sie war noch nicht so weit.
    »Schließ die Augen, es wird nicht wehtun.«
    Eva gehorchte dem Magier. Was brachte es, sich zu wehren? Sie hatte die Chance, ohne Schmerzen zu sterben, und sie musste sie ergreifen. Jonathan Fingerless machte so ein Angebot bestimmt nicht oft. Falls er Wort hielt.
    Der Fluch traf sie überraschend schnell und der Lähmungszauber breitete sich aus. Unfähig, sich zu bewegen, stand sie starr vor Jonathan. Sie schickte in Gedanken ein kurzes Gebet in den Himmel, dass er Anna verschonen würde, und spürte noch, wie der Magier eine kalte Klinge über ihre Halsschlagader zog.

4. Kapitel
    Blutiges Erbe
    A nnas Blase drückte. Wie auf schwebenden Füßen lief sie durch das hohe Gras und öffnete schon einen Hosenknopf. Ein leichtes Schwindelgefühl, vermutlich durch den Alkohol ausgelöst, schaukelte durch ihren Kopf, wand sich durch den Magen. Sie vertrug kein Bier. Wieso hatte sie sich dazu verleiten lassen?
    Eine Windböe streifte sie, ließ sie erschaudern und blies ihr schneidend ins Gesicht. Buchstäblich trieb es ihr die Tränen in die Augen. Warum fröstelte sie plötzlich? Woher kam die Kälte? Eben noch hätte sie sich am liebsten aus den Klamotten geschält. Sie schüttelte sich und versuchte, das eisige Gefühl loszuwerden. Verrückt.
    Das Geplapper am Lagerfeuer schallte bis hierher, aber sie glaubte, sich weit genug entfernt zu haben, um nicht gesehen zu werden. Sie hockte sich ins Gras. Nur mühsam hielt sie sich auf den wackligen Beinen. Was ein einziges Bier doch für Auswirkungen hatte … Ihr Gleichgewichtssinn hatte sich förmlich in Luft aufgelöst, schon seltsam.
    Die Gänsehaut auf ihrem Körper kroch den Nacken hinauf. Anna konzentrierte sich auf die Geräusche am Feuer und versuchte, sich abzulenken. Das Froschkonzert aus den hohen Gräsern übertönte die schrille Lache einer Frau.
    Zwischen die vielen Stimmen schlich sich ein leises Hufgetrappel. Ein Hufgetrappel? Sie musste eindeutig betrunken sein. Schnell stellte sie sich aufrecht hin und knöpfte die Hose zu.
    Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Sie starrte über die Wiese zu den Feldern. Etwas starrte zurück. Die Gänsehaut fraß sich in ihre Eingeweide, zog sie zusammen. Anna lachte auf und schüttelte den Kopf. Beinahe wäre sie auf die Hirngespinste hereingefallen. Sie sollte wirklich keinen Alkohol trinken.
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