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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt
Autoren: Simone Olmesdahl
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Tief atmete sie durch. Die Atemwolke vor ihrem Gesicht verflog in der Dunkelheit. Himmel, so kalt konnte es doch gar nicht sein.
    Die Geräusche kamen näher und kristallisierten sich zwischen den anderen heraus.
    Annas Herz begann zu rasen. Die Legende vom Schimmelreiter schien ihr mehr Angst eingejagt zu haben, als sie gedacht hatte. Bescheuerte Mär. Mit schnellen Schritten versuchte sie, zu den anderen zurückzueilen, aber sie stolperte über den unebenen Rasen und landete auf allen vieren. Angst betäubte sie augenblicklich. Jemand oder etwas stand hinter ihr. Der Angreifer aus dem Feld? Ein Geräusch, das wie ein rasselndes Atmen klang, lähmte ihren Verstand. Wie ein kleines Kind, das glaubt, wenn es selbst nichts sieht, wird es auch nicht gesehen, kniff sie die Augen zusammen.
    Wenigstens war das Hufgetrappel verklungen. In Gedanken zählte sie bis zehn, fest entschlossen, wieder aufzustehen, die Halluzinationen zu ignorieren, und zum Feuer zurückzugehen. Kurz bevor sie allerdings bei zehn angelangt war, gefror ihr Blut in den Adern zu Eis. Ein Pferd schnaubte hinter ihr.
    Mit einem Satz sprang Anna auf die Füße und spurtete über die Wiese, aber das Pferd folgte ihr. Ihre Angst verwandelte sich in Panik. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, fing sie lauthals an zu schreien.
    »Kevin? Kevin, hilf mir!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und weil der unnatürliche Frost ihre klammen Glieder immer noch lähmte, kam sie nur schwer vom Fleck.
    »Anna?« Kevin lief ihr entgegen. »Hey, was ist denn los?«
    Er bremste sie ab und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, sicher, dass jetzt irgendetwas Schreckliches folgen würde.
    Aber es geschah nichts. Sie krallte sich fest in sein T-Shirt und atmete konzentriert ein und aus. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie Angst hatte, sich eine Rippe zu brechen.
    »Beruhige dich! Was ist passiert?«
    Vorsichtig blickte Anna auf. »Da hinten war was, ein Pferd hat mich verfolgt.« Beim Aussprechen der Worte hörte sie, wie lächerlich sie klangen.
    »Da ist nichts, sieh selbst.« Kevin ließ den Blick über die Felder schweifen.
    Anna drehte sich langsam um und musste feststellen, dass er recht hatte. Kein Pferd, kein Reiter, nichts …
    »Aber es war da, ich hab es doch deutlich gehört.«
    »Die Geschichte ist dir zu Kopf gestiegen, alles ist gut. Komm, ich bring dich nach Hause, es ist ohnehin schon spät.« Kevin legte einen Arm um sie. »Wieso bist du so furchtbar kalt?«
    Anna sagte nichts, sie hatte keine Antwort darauf. Die scheußliche Kälte verschwand genauso schnell, wie sie aufgetaucht war. Die Sommernacht umhüllte sie wieder mit angenehmen fünfundzwanzig Grad. Eine logische Erklärung konnte es also gar nicht geben. Trotzdem verebbte die Panik allmählich.
    Anna lief schweigend neben Kevin her. Mit der Geschichte würde er sie aufziehen, bis sie als Greise im Schaukelstuhl endeten.
    Der Fußmarsch tat gut und der Alkohol gab ihre Sinne frei. Ihre Gedanken nahmen wieder klare Strukturen an. Sie schüttelte den Kopf über sich. Dass eine Geschichte sie so ins Bockshorn jagen konnte. Peinlich!
    Keine fünfzehn Minuten später standen sie vor dem Haus ihrer Tante.
    »Ich fand es sehr schön heute.« Kevin lächelte sie an.
    Anna erinnerte sich sofort an den Hinweg, an Kevins seltsames Kompliment. Wieder begleitete sie der unschöne Gedanke, dass sich ihr Verhältnis geändert hatte. Es war besser, sie löste die Situation so schnell wie möglich auf.
    »Gute Nacht«, sagte sie deshalb viel zu eilig.
    »Gute Nacht.«
    Kevin wandte sich ab. Anna meinte, eine Spur Enttäuschung in seinem Gesicht zu lesen.
    Mist! Sie hatte nie gewollt, dass solche Gefühle bei ihm aufkamen. Sie waren Freunde.
    Sie beschloss, sich morgen weitere Gedanken zu dem Thema zu machen, und zog den Schlüsselbund aus der Hosentasche. Noch bevor sie die Tür aufschloss, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Angst entsprach einem Urinstinkt der Menschen, sie sicherte das Überleben. Im Haus brannte kein Licht. Für gewöhnlich wartete Eva mit dem Zubettgehen, bis Anna nach Hause kam.
    Das beklommene Gefühl von eben schlich sich zurück in ihre Glieder, sie musste sich zusammenreißen, um den Schlüssel umzudrehen.
    »Eva?« Annas Stimme hallte in dem weitläufigen Flur, sie klang seltsam piepsig. »Ich bin wieder da!«
    Keine Antwort.
    Sie schloss die Haustür hinter sich und tastete nach dem Lichtschalter. Sie fand ihn nicht auf Anhieb.
    Den Blick auf das Wohnzimmer gerichtet sah sie
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