Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt
Autoren: Simone Olmesdahl
Vom Netzwerk:
Sie entlassen werden, möchte ich ausgiebig mit Ihnen sprechen.«
    Mit kraftlosen Beinen kletterte Anna aus dem Fahrzeug. Kevin kam ihr entgegen und begleitete sie zum Krankenwagen.
    »Es tut mir entsetzlich leid.« Er sah geschockt aus. Als er sie sanft in seine Arme ziehen wollte, wehrte Anna ihn ab.
    »Ich kann das jetzt nicht, ich breche sonst zusammen.« Schnell betrat sie den Rettungswagen und wartete wie betäubt auf die junge Ärztin. Atmete sie noch, schlug ihr Herz noch? So sehr sie sich auch bemühte, sie spürte das Leben nicht mehr.

5. Kapitel
    Besuch der Hexe
    2 Wochen später
    D ie Sonne schien auf eine grausame Art und Weise auf den Friedhof und ihre verräterischen Strahlen tanzten über die Gräber. Sie erreichten Annas Herz nicht. In ihr schlummerte die Dunkelheit, sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Sie hatte schon viele Menschen verloren, hatte jeden Großelternteil sterben sehen. Diesmal gab es nichts, was sie aufheitern konnte. Jeder Seelentrost verlief sich in unendlicher Traurigkeit.
    Evas Tod hatte sie so hart getroffen, dass Anna nicht glaubte, jemals wieder glücklich zu sein.
    Sie hatte gedacht, dass ihre Tante noch unsagbar viel Zeit hätte. Ein einziger Tag, manchmal eine einzige Sekunde, war ihr unendlich lang erschienen. Durch Evas Tod erkannte sie, dass das Leben kurz war und jeder Moment unbeschreiblich wichtig. Denn ihre Tante war jung gestorben. Was bedeuteten schon vierzig Jahre im Vergleich zu dem, was noch hätte folgen können? Ihre Zukunft war erloschen, ohne Rücksicht auf Zeit.
    Die Trauergemeinde bewegte sich langsam von der Kapelle zwischen den Gräbern auf das offene Grab zu. Viele schlossen sich an. Die Dorfbewohner hatten Eva in ihr Herz geschlossen, jeder trauerte um sie. Mit ihrer warmherzigen und hilfsbereiten Art hatte sie etwas geschafft, was wohl sonst kein Hinzugezogener geschafft hätte: Sie wurde akzeptiert.
    Auch von außerhalb schienen einige Leute angereist zu sein, bestimmt ein paar Begabte. Anna verschwendete keinen Gedanken an sie und versuchte, die magische Welt so weit wie möglich von sich fernzuhalten. Bisher hatte sie es erfolgreich zuwege gebracht, das neue Talent zu unterdrücken. Sie wollte es nicht, jetzt nicht mehr.
    Ihre Tante hatte sich immer ein Begräbnis gewünscht, auf dem die Menschen in Weiß erschienen. Augenscheinlich hielt sich jeder daran – jeder, außer Anna. Das schwarze Baumwollkleid klebte an ihrem Körper, aber es bewies, dass sie noch da war. Sie schwitzte und litt, also existierte sie auch.
    Die Rede der jungen Pfarrerin klang andersartig, sie erinnerte an Eva. Die vergangenen Tage hatte sie bei Annas Mutter in der Schweiz verbracht. Sie hatten die Rede miteinander abgestimmt. Wahrscheinlich deshalb.
    Ihre Familie stand in vorderster Reihe am Grab und auch hier sprach die Geistliche noch ein paar Worte. Anna hörte nicht zu und verkroch sich tief in ihr Schneckenhaus. Ihre Mutter drückte ihre Hand, sie weinte.
    Gemeinsam traten sie an das Loch. Es wirkte düster und Anna wusste, Eva sah nicht zu. Wo auch immer sie sein mochte, hier konnte sie nicht sein. Ihre Seele war ins Jenseits gereist, frei von Sorgen und Ängsten. Aus ihren Erzählungen wusste sie, dass es dort sehr schön sein musste.
    Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel, als sie die Blume auf den hölzernen Sarg warf und augenblicklich streifte sie eine sanfte Brise. Ein leichter Schauder lief ihr den Rücken hinunter, denn eigentlich war der Tag bisher außergewöhnlich windstill. Ob sie doch zusah? Anna stellte sich vor, wie Eva auf einer Wolke saß und ihr einen gehauchten Kuss zugeworfen hatte. Sie klammerte sich an die Vorstellung, sie brachte ein wenig Hoffnung und Trost mit sich.
    Sie traten zur Seite und Anna schüttelte den Gedanken ab. Der schlimmste Teil würde nun folgen. Die Menschen würden ihnen ihr Beileid aussprechen.
    Hinter ihnen gingen ihr Vater und Sally zum Grab. Vorgestern waren sie erst aus dem Urlaub zurückgekommen. Paps wirkte geknickt, aber Sally trottete einfach neben ihm her. Sie hatte kein Recht, hier zu sein, sie kannte Eva nicht einmal wirklich.
    Ihr Vater zog Anna in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Auch ihre Mutter hielt er kurz fest. Die Geste zeigte, wie erschüttert er sein musste. Normalerweise konnten sie nicht einmal mehr am selben Tisch sitzen, ohne zu streiten.
    Sally streckte ihre manikürte Hand aus, um ihr durchs Gesicht zu streichen. »Anna, es tut mir so leid.«
    Anna trat rasch einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher