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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Autoren: Kai Strittmatter
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und klatschen sich bei Picknickpausen rhythmisch auf den Bauch.
    Folgen Sie stets dem Megafon Ihres Führers, das meist auch noch über eine Entfernung von einem Kilometer gut hörbar »My heart will go on« dudelt.
    Passen Sie auf, dass Sie nicht bei einem der anderen zwölf Megafone landen, die »My heart will go on« dudeln.
    Wundern Sie sich nicht! Wenn Sie die Lobby eines Luxushotels betreten und von einem doppelstöckigen Glockenspiel begrüßt werden, in dessen oberem Stockwerk sich europäisch-mittelalterliche Figuren drehen, die an den Schäfflerreigen im Turm des Münchner Rathauses erinnern. Wenn darunter in einem zweiten Reigen Walt Disneys sieben Zwerge Schneewittchen umtanzen. Wenn das Glockenspiel angebracht ist über einem riesigen, Leonardo da Vincis »Abendmahl« nachempfundenen Wandgemälde – wo es dem chinesischen Kopisten allerdings zu langweilig zuging, sodass er dem Personal des Originals ein wahres Pandämonium an Zwergen, Gauklern und halb entblößten Frauen zur Seite stellte, von denen eine dem Herrn mit dem Heiligenschein in der Mitte die Hand reicht. Wenn die Kellnerin im Hotelcafé Ihnen dann erklärt, das Bild stelle »die Hochzeit von Jesus und Maria« dar. Ist mir in Qingdao passiert.
    Chinesen lieben Kitsch wie sonst wahrscheinlich nur noch die Amerikaner. In der bildenden Kunst wie in der Musik.Wahrscheinlich hatte Chinas verstorbener Reformer Deng Xiaoping die so trügerisch benannte »leichte Musik« im Sinn, als er Anfang der Achtziger, zu Beginn seiner Reformpolitik, achselzuckend sagte: »Wenn man das Fenster aufmacht, kommen auch Fliegen herein.« Obwohl, vielleicht hätte er sich in voller Kenntnis der Folgen die Sache mit der Öffnung Chinas noch einmal überlegt. Leichte Musik (auch: easy listening ) ist ein ursprünglich in Europa und Amerika beheimateter Notenbrei, der dort zur Herbeiführung milder Delirien zwecks Begleitung von Wurzelbehandlungen einem guten Zweck zugeführt wird und erst im ebenso wehr- wie ahnungslosen China außer Kontrolle geraten konnte. In einem besonders gravierenden Fall schlüpfte die aus Europa verjagte »Ballade pour Adeline« (Richard Clyderman) Mitte der Achtzigerjahre vorbei an Grenzschutz und Quarantäne und hat sich seither im Lautsprecher des Kirchenturms von Harbin ebenso festgesetzt wie in Springbrunnen in Kanton, wo sie Tag für Tag und Jahr für Jahr Passanten peinigt bis ans Ende aller Zeit. In China haben allerorten Endloskassetten mit leichter Musik die alten Propagandabänder abgelöst, auf 18-stündigen Zugfahrten etwa, wo sie im Dauerbetrieb bei ahnungslosen Opfern denselben Effekt haben: unter Vorspiegelung falscher Glücksmomente selbstständiges Denken unmöglich zu machen.

Geheimtipp Nummer zwei
     
    Sie können Unterwäsche und Reiseführer, Armbanduhr und Durchfallmittel, Kreditkarte und Wörterbuch zu Hause lassen und trotzdem eine schöne Reise haben, eines aber sollten Sie niemals vergessen: Ihre Ohrstöpsel!
    Es gibt in China mittlerweile Punks mit grünen Haaren, die im Fernsehen Werbung machen für China Telekom. Es gibt mehr Milliardäre als in Deutschland, und es gibt Ronald McDonald (den sie hier »Mai Danglao Shushu« nennen: Onkel McDonald).
    Für die Nostalgiker unter den Besuchern hier ein paar Anhaltspunkte, an denen Sie merken können, dass China dennoch noch immer ein sozialistischer Staat ist:
     
 

Es gibt bis heute keine erste Klasse in den Zügen, stattdessen: »Weich schlafen« und »Hart schlafen«, »Weich sitzen und »Hart sitzen«.
     

Es gibt noch immer Restaurants, in denen gähnende Kellnerinnen Ihnen um Punkt acht den Kunstrasen unter den Füßen wegziehen – Achtung, Staatsbetrieb!
     

Die Handtücher in manchen Hotels sind aus einem garantiert Wasser abweisenden Wundermaterial.
     

Im Hotelfernseher gibt es keinen Pornokanal.
    Dass China schon lange kein sozialistischer Staat mehr ist, merken Sie spätestens dann, wenn das Telefon auf Ihrem Zimmer klingelt und Sie in all dem süßen Gesäusel, das da aus dem Hörer in Ihr verschlafenes Hirn dringt, Ihnen schon bekannte Wörter wie »Tschiipa, tschiipa« , aber auch Ausdrücke wie »Baby« und »Ma-sha-ji« identifizieren können. Ma sha ji heißt wörtlich »Pferd killt Huhn«, meint aber den weit unblutigeren Tatbestand der in westlichen Sprachen lautähnlichen »Massage«. Das Wort steht in diesem Fall pars pro toto für ein Bündel individuell auszuhandelnder Dienstleistungen des xiao jie , des Fräuleins am anderen
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